RECORDER – Ein Leistungssegelflugmodell aus den frühen 50er Jahren

Die Geschichte vom Mann mit dem Homburger

von Jürgen Rosenberger.​

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Wir schreiben das Jahr 1957, die großen Ferien haben gerade begonnen. Drei präpubertäre Pimpfe radeln vom Düsseldorfer Vorort Reisholz in die 25 km entfernte Ohligser Heide. - Ja liebe Leser, damals waren wir noch keine dicken Kinder, die von ihren Mamis zum nachmittäglichen Freizeitambiente chauffiert wurden. Das Ziel der drei ist der Jaberg, hier treffen sich nämlich am Wochenende die Modellflieger. Am Ort des Geschehens eingetroffen, kommen Friedhelm, Till und Jürgen aus dem Staunen nicht heraus.

Schier unglaublich große Flugmodelle, selbst gebastelt, mit bis zu 2 m Spannweite werden vom Bergplateau, das sich 20 bis 25 m über der Heide erhebt, abgeworfen. Da fliegen und kreisen sie, die Passats, die ETBs, die Hobbys, nicht zu vergessen die kleinen Uhus. Die Prachtstücke werden in den Wind geschoben, gewinnen mal mehr mal weniger an Höhe, um zwei, drei ja sogar fünf Minuten später irgendwo in der Ferne - wir glauben es kaum - im Abstand von 200-300 m nieder zu gehen. Von Landung kann nicht immer die Rede sein, von Einschlag zu sprechen, wäre manches Mal treffender, schließlich ist die Verlustrate bis hin zum Totalschaden nicht unerheblich. In die Heidelandschaft ragen Sträucher, Bäume, mitunter auch steinige Erhebungen und dann, wie der Zufall so spielt, knallen die Endprodukte feinster Handwerkskunst den Gesetzen der Statistik gehorchend ungebremst gegen solche Hindernisse, die Mühen mancher Bastelstunde zunichte machend.

An diesem Tag gibt es ein besonderes Ereignis. Gleich zu Anfang fällt uns ein bildschöner RECORDER auf, bestens bekannt aus unserer Tageslektüre, dem Graupner-Katalog, der Segler ist schwarz-weiß gehalten und hat eine unglaubliche Spannweite von 1,9 m. Links und rechts finden sich keulenartige Flächenbegrenzungen, die Nase läuft spitz zu. Begeistert fachsimpeln wir mit dem Besitzer, einem älteren Mann. So ein Teil zu haben, das wäre schon was! Aber so rechne ich: Der Baukasten der Firma Graupner kostet 16,80 DM, mein wöchentliches Taschengeld beträgt 1,25 DM, es würde also schon einige Zeit dauern, auf so ein Teil zu sparen. Jedem von uns wird klar, die Worte des Erbauers bestätigen es, der Zusammenbau überfordert unsere handwerklichen Fähigkeiten. Schließlich wirft der Besitzer die Maschine - wir konnten es kaum erwarten - in den auffrischenden Wind. Die Turbulenzen der Hangkante heben den RECORDER auf Höhe, er beschreibt eine große Kurve rund um den Berg und plötzlich, für uns völlig unerwartet, überfliegt er in etwa 2 m Höhe das Hügelplateau, als just ein wohlbeleibter Herr mit schwarzem Homburger, so einen Hut trug sonst eigentlich nur der Bundeskanzler Adenauer, mit stolzgeschwellter Brust den Platz überquert, ohne nach links und rechts zu schauen. Das Unheil nimmt seinen Lauf. Der RECORDER hält auf den Mann zu, Rufe „Achtung, Vorsicht“ werden vom Unglückswurm überhört. Das Modell spießt den Homburger auf und fliegt mit ihm von dannen, um nach 20-30 m im Gelände niederzugehen. Lautes Gelächter aller Orten, der Homburgmann ist "verdaddert". Aus heutiger Sicht würde ich sagen "Schwamm drüber", was hätte alles passieren können. Vielleicht erinnert sich der ein oder andere Jaberger noch an diesen Vorfall.


Ein Jugendtraum erfüllt sich

Die Erinnerung an das Ereignis kehrt zurück, als ich im Jahre 2016 eine Anzeige finde, in der unter der E-Mail-Anschrift Lototos, jemand den Spantensatz eines RECORDERs anbietet. Der Telefonkontakt ist schnell hergestellt, 50 Euro sind im Voraus zu berappen, eine baldige Übersendung des gegenüber dem Original modifizierten Frässatzes wird zugesichert. Geduld ist von Nöten, es dauert immerhin 2-3 Monate bis mein Jugendtraum schließlich in Erfüllung geht und ich Bauteile eines RECORDERs in den Händen halte. Bauplan und originale Baubeschreibung, herausgegeben von der Firma Johannes Graupner in den frühen 50er Jahren, hatte ich mir irgendwann einmal besorgt und finde hier im Positiven das vor, was ich bei neuzeitlichen Modelleditionen stets als fehlend bemängele: Einen 1:1-Bauplan, der keine Wünsche offen lässt, eine Bauanleitung, die Schritt für Schritt den Aufbau von Rumpf, Flügeln und Leitwerken beschreibt. Hier lese ich: Der RECORDER hat eine Spannweite von 1900 mm und ein Gewicht von 415 g bei einer Flächenbelastung von 12,2 g/dm². Mannis Spantensatz - so heißt der Lieferant - ist von guter Qualität, Leisten und Beplankungsmaterial gehören nicht zum Lieferumfang. Bei Durchsicht der Stückliste zeigt sich, was schon die Gewichtsangabe in der Anleitung erahnen lässt, sehr filigranes Material wird verwendet, so die Flächenbeplankung aus 1 mm Balsaholz , für die Rippen ist 2 mm Balsa vorgesehen.


Der Bau

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Es beginnt mit dem Rumpfbau, der sich auch aus Sicht des erfahrenen Modellbauers als anspruchsvoll aber durchaus interessant erweist. Jürgen, der Modellbaueleve, war in den 50ern, wie oben erwähnt, sicher gut beraten, solch ein Opus nicht in Angriff zu nehmen. Janez Zoran (der Konstrukteur) sieht primär den Aufbau einer inneren Rumpfschiene vor, die aus vier Seitenteilen über einem 16 x 16 x 200 mm messenden Balsaklotz und drei inneren Spanten zusammengefügt wird. Es entsteht so ein innerer, das Modell durchlaufender quadratischer Stab, auf den nach Fertigstellung außen die Spanten 5 – 13 aufgeschoben werden. Die Bilder zeigen es eindrücklicher als es Worte zu beschreiben vermögen. Vorne wird der Rumpfkopf später als Sperrholzfrästeil angefügt, was dann die RECORDER-typische Spitze ergibt. Balsaklötze sind beidseitig aufzukleben. Nun lege ich die äußere Beplankung des Rumpfes über den reitenden Spanten auf, sie endet vorne stoßend an den Balsaklötzen und wird am Heck mit der inneren Rumpfschiene verleimt. Der RECORDER ist aber nicht als Freiflugmodell sondern als RC-Modell geplant, ich muss deshalb von der ursprünglichen Bauanleitung abweichen. Die Rudermaschinen für Höhe und Seite werden 8 cm vor dem Schwerpunkt zwischen dem vierten und fünften Spant ober- und unterhalb der vormals beschriebenen inneren Rumpfröhre platziert. Servo- wie auch Bowdenzugmontage erfolgen vor der Beplankung. Aus Stabilitätsgründen schneide ich keine Deckel in die so entstandene Außenhaut, dies müsste ich im Fall eines Servo-Defekts nachholen, potentielle Nachbauer seien auf diesen durchaus kritikwürdigen Punkt hingewiesen.

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Der Konstrukteur sieht hinter der angeklebten Rumpfspitze das Einbringen eines Festballastes von 45-50 g zwischen dem ersten und zweiten Spant vor. Ich verzichte darauf, versehe stattdessen den Raum hinter Spant 2 mit einem Deckel, um dort später Empfänger und Akku zu positionieren. Davor entsteht im Sperrholzfrästeil durch Aufleimen der Balsaklötze eine Ballastkammer. Der Hochstarthaken ist an der Unterseite des Rumpfes 5 cm hinter der Nasenleistenvorderkante anzubringen. Im Folgenden wird der Rumpf verschliffen, so entsteht die unverkennbare RECORDER-Pfeil-Nase.

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Nun folgt der Zusammenbau des Tragflächenmittelstückes. Die Basis bildet eine doppelseitige Sperrholzzunge, die zusammen mit zwei Federstählen später eine zuverlässig stabile Tragflächenarretierung liefert, auf das entsprechende Foto sei wiederum als plausibelste Form der Erklärung verwiesen. Für den Bau der Tragfläche ist im 1:1-Bauplan nur die rechte Hälfte dargestellt. Da kommen Erinnerungen hoch. Die alten Hasen wissen es noch: Man stöbert in Mutters Kühlschrank nach Margarine, fettet den Plan auf der Unterseite ein, um ihn dann spiegelbildlich für die linke Fläche benutzen zu können. Der Konstrukteur empfiehlt einen anderen Weg. Er rät, die Maße der Tragfläche von Knick zu Knick unter Aussparung des vorher angesprochenen Mittelstücks auf das Baubrett zu übertragen, also die Flächen in einem Stück zu bauen. Die wird später mittig durchtrennt und mit dem vorher gefertigten Mittelstück verbunden. Ich baue, die Bilder zeigen es, die Flächen aus vier Einzelteilen: Zwei Mittelstücken und zwei Ohren. In jedem Falle muss an der Vorderkante der Endleiste eine 2 mm dicke Unterlage zu liegen kommen, bevor die Rippen an Nasen- und Endleiste verleimt werden. Interessanterweise, mir bisher unbekannt, sieht Zoran einen Wechsel im Flächenprofil vor. An der Flächenwurzel verwendet er Clark-Y und wechselt dann nach außen auf ein gewölbtes Profil. Die Rippen werden in der Endleiste nicht über Einschnitte, sondern alternierend auf Stoß oder über Dreiecke an jeder zweiten Rippe verstärkt, fixiert. Nach Abtrocknen vollführt man die Einleimung der Hauptholme. Die Verklebung der Ohren gestalten wir über Schäftung unter Berücksichtigung im Bauplan vorgegebener Winkel. Das Flächenmittelstück wird auf den Rumpf geleimt, die beidseitige Zunge bildet den Stecker für die Flächenbuchsen. Nun steht die Formgebung des RECORDERtypischen runden Rückenklotzes an, der eine Flugzeugkanzel imitieren soll. Der Konstrukteur Janez Zoran gibt eine andere Begründung an. Er sagt, dass zur Einhaltung der FAI-Vorschrift, gemeint sind Wettbewerbe der frühen 1950er Jahre, der Rumpfquerschnitt ein Quadrat und eine halbe Kreisfläche enthalten müsse.

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Der Bau der Seiten- und Höhenleitwerke erfordert, ich fliege RC, eine Abänderung des Originalplanes. Zunächst baue ich für das Höhenruder eine Dämpfungsfläche und ein 2 cm breites Ruder. Weitere Änderungen ergeben sich am Seitenruder. Ich vergrößere es schon gegenüber dem Originalplan, muss nach der Flugerprobung aber sagen, dass die Auslegung noch zu gering dimensioniert ist. Die Empfehlung für Nachbauer: Nehmt 50 % der Seitendämpfungsfläche als Ruder. Bei meiner Version ist die Seitenruderwirkung noch verbesserungsfähig.

Es folgt nach Feinverschleifen aller Teile, die filigrane Bauweise muss hier im besonderen Maße berücksichtigt werden, das Bespannen des Modells mit Japanpapier. Janez empfiehlt, das Papier beim Auftragen nicht bis an den äußeren Rand der Endleiste vorzuziehen , sondern nur um 1cm über die Beplankungslücken hinaus zu gehen, da die Nassbespannung sonst zu einem Verzug des dünnen Beplankungsmaterials, immerhin nur 1 mm Balsa, führen würde. Ich verwende zum Auftragen der Bespannung Tapetenkleister, danach ist, um Verzug zu vermeiden, sparsame Wässerung unter Fixierung der Flügelhälften auf dem Baubrett angesagt. Zweimaliges Lackieren mit Spannlack bildet den nächsten Arbeitsschritt. Hier nun eine weitere Empfehlung für etwaige Nachbauer: Wer nicht unbedingt "oldscale" nachbauen will, sollte dünne Leichtfolie nehmen. Zum Einen ist es gar nicht so ganz einfach, heute Spannlack zu bekommen, zum Anderen ist Seidenpapier selbst durch Grashalme leicht zu verletzen. Auch der Rumpf wird nach zweimaligem Spannlackanstrich mit dünnem Überzugslack behandelt.


Die Flugerprobung

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Akku und Kleinstempfänger liegen in der Kammer vor dem Flügel, das Modell wird im Schwerpunkt ausgewogen, Höhe und Seite eingestellt. Endlich geht es an eine Hangwiese im schönen Saarland. Das Wetter ist hochsommerlich, allerdings scheint der Wind mit 2-3 für ein 462 g Modell nicht ideal. Klaus, er hat das Teil gebaut, also soll er auch fliegen. Ich verschanze mich hinter meiner Canon. Klaus übergibt den RECORDER mit zartem Stoß seinem Element. Der Segler steht, so kennen wir es aus alter Zeit, fast wie ein Kolibri in der Luft, gleitet dann langsam dahin, ständig mit dem ihm nicht ganz genehmen Wind kämpfend. Klaus wird hinterher sagen:"Mann musste ich knüppeln!" Die von der Modellperformance "ausströmende" Grazilität beeindruckt uns. Als ich Stephan zu Hohenlohe später ein Flugbild maile, reflektiert auch er unsere Empfindung mit seinen Worten "Das ist ja mal ein schönes Modell". Der RECORDER gleitet gemächlich am 40° abfallenden Hang entlang. Der Wind kommt von links vorne. Es ist erstaunlich, wie sich unser Leichtgewicht langsam gegen den Wind vorarbeitet. Allerdings, dies missfällt mir, ist die Seitenruderwirkung gering, zu gering. Dem Nachbauer wird nochmals empfohlen, die oben erwähnten 50 % Rudervergrößerung einzuplanen. Wunderbare Achten lassen sich am Hang fliegen, natürlich alles gemächlicher als bei einer querrudergesteuerten Hangfräse. Die Knickohren, so unsere Interpretation, bescheren dem RECORDER eine erstaunliche Stabilität. Es macht Freude zu sehen, wie diese filigrane Schönheit manchmal in der Luft steht, selbst der oft confabulierte Rückwärtsflug scheint möglich, zumindest glaubt Klaus, das zu beobachten. Die erste Landung war völlig unproblematisch, als der Pilot den Modell hochhebt, sieht er, dass das trockene Gras ein kleines Loch in die Bespannung der Unterseite gerissen hat. Es folgen weitere Flüge. Sie führen uns das ästhetische Flugbild des RECORDERs stets von neuem vor Augen. Klaus klagt zwar weiterhin, bei dem im Grunde zu starken Wind erheblich knüppeln zu müssen, "Aber es macht Spaß!" ruft er aus.

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Mein Fazit

Oldie but goldie - der RECORDER ist ein Leistungssegler aus den 50ern, er ist handwerklich aufgrund des Leichtbaus nicht ohne Anspruch zu fertigen. Aus einem qualitativ solide erstellten, modifizierten Spantensatz entsteht nach den Regeln alter Modellbauerkunst eine Augenweide. Umfunktioniert zum RC-Modell bereitet der Segler dem Erbauer bei ruhigen Wetterverhältnissen viel Freude. Er taugt nicht für wildes Hangfräsen, Grazilität und Ästhetik bestimmen sein Flugbild.

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Technische Daten: RECORDER
Einheit
Maß - Bemerkung
Spannweite
mm​
1900
Länge
mm​
1300
Fluggewicht
g​
462
Flächeninhalt
dm²​
28,80
Flügelstreckung
%​
12,6
Flächenbelastung
g/dm²​
16,04
Schwerpunkt
mm​
81 (hinter Nasenleiste)
andere Angaben
Servos
----​
zwei Stück, 10 mm dick
Ruderausschlag
----​
Seite: ±10 mm | Höhe: ±10 mm
 
Lockerer Handstart einer "Superorchidee".
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Paßt sogar in einen smart. (OK, es war die 4-türige Gehhilfe).
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Baubericht HIER und Erstflug HIER

Ich hoffe, der Jürgen ist nicht sauer, wenn ich hier sowas poste.
Knut
 
Wie recht der Robert hat. Irgendwann kommt jeder mal zu dieser Erkenntnis.
Bei mir dauert das aber noch (5,87m, Mg 19a).
Knut
 

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