Flugzeugauslegung - Kippflügler TWiSTer

Hey zusammen,
ich möchte in diesem Thread mein Masterarbeits-Projekt vorstellen und den Baufortschritt dokumentieren. Ich hoffe, dass ich auf diesem Wege von euch hilfreiche Anmerkungen bekommen kann.

Hintergrund
Meine Arbeit schreibe ich am Institut für Flugsystemdynamik an der RWTH Aachen (https://www.fsd.rwth-aachen.de/). Da das Institut sich gewissermaßen den Kippflüglern verschrieben hat, handelt auch meine Masterarbeit von dieser Art von Wandelflugzeug.

Thema
Konkret entwickle ich eine Toolchain (Kette numerischer Berechnungsprogramme) zur flugleistungsoptimierten Auslegung von Kippflüglern. Dabei wird, ausgehend von Top-Level Anforderungen (wie Reichweite, Reisefluggeschwindigkeit, und einiges mehr), iterativ für das beste Gleitverhältnis optimiert.

Toolchain
Die Toolchain wurde kurzerhand TWiST getauft (Tilt Wing Synthesis Toolchain). Sie ist in MATLAB implementiert und greift auf XFOIL (1), AVL (2), QPROP (3) und QMIL (4) zurück (alle numerische Tools von Mark Drela). Dazu kommen Massenabschätzung, analytische Auslegungsrechnungen, Interpolationen aus Motordatenbanken etc. - mittlerweile ist der Code recht umfangreich und bringt sinnvolle Ergebnisse hervor. Ausstehend ist noch eine gute Visualisierung aller relevanten Ergebnisse, eine saubere Dokumentation und ein funktionales Tennen der Bestandteile.
Kurz zu den Tools:
XFOIL: 2D Profilberechnungsprogramm, Sollten die meisten kennen
AVL: 3D Konfigurationsanalyse (Aerodynamische Analyse), Trimmrechnung, Flugdynamik, vergleichbar mit XFLR5 oder FLZ Vortex
QPROP: Propeller & Motor Berechnungsprogramm, Blattelemente-Theorie, Vereinfachtes Motormodell
QMIL: Propeller-Auslegungsprogramm nach "Minimal Induced Loss" - Betz
Damit ist für ein propellergetriebenes Fluggerät ein Großteil der benötigten Rechnungen abgedeckt.


Validierung
Nun, damit ich am Ende zeigen kann, dass die Toolchain tatsächlich brauchbare Ergebnisse liefert, ist eine Validierung notwendig. Die einzelnen Programmteile wie Antriebsrechnung und Widerstandsrechnung sind mit Windkanaldaten (hier am Institut) und Flugleistungsvermessung (Idaflieg) bereits verifiziert.
Um aber schlussendlich zu zeigen, dass auch der übergeordnete, automatisierte Auslegungsprozess keine utopischen Entwürfe ausspuckt, BAUE ich nun - für eine spezifische Mission - den mit TWiST ausgelegten Kippflügler. Nennen wir ihn mal TWiSTer (bin offen für bessere Vorschläge ;))

Mission und Anforderungen
Die Missionsdefinition basiert auf der MEDICAL EXPRESS Challenge: https://uavchallenge.org/medical-express-2/medical-express/
Der Grundgedanke ist dabei Ärzten zügig Blutproben von einem kranken "Outback" Joe mittels Drohne zu beschaffen.
Sprich: Starten, Strecke um Hindernisse fliegen, ca 25km pro Weg maximal, Lokalisieren, Blutprobe aufnehmen (Daher VTOL Eigenschaften nötig), Zurückfliegen, alles in unter 1h
Daher muss das Fluggerät, mit Schwebeflugphasen eine Reisefluggeschwindigkeit von ca. 18m/s besitzen und 50km zurücklegen können.


Das soll als Einführung erstmal reichen, geht ja eigentlich um Modellbau hier :)
Versuche morgen den aktuellen Entwurf zu beschreiben.

Kleiner Teaser: Fläche und Leitwerk wird in Schalenbauweise gefertigt (SpreadTow :cool:), Formen kommen aus dem 3D Drucker (Leitwerksform schon fertig, Flügelform wird gerade gedruckt). Rumpf und Motorgondeln im 3D Druck.
Und das ganze fliegt (hoffentlich tut es das auch) später natürlich automatisiert :D

Zeitplan ist eng, bis Ende März soll der Flieger stehen.
 

v.p.

User
Hey,
Mal ne frage.... warum kippt ihr eigentlich die fläche mit?!
Mir erschließen sich daraus keine vorteile.

Bin auf deinen Bericht sehr gespannt...

Beste Grüße
Max v.P.
 
Hallo Max,

ich bin zwar nicht Benjamin, aber ich arbeite auch schon des längeren an Tiltwings, aber im Scale-Sektor.. Die Dinger haben, wenn man das Konzept durchzieht, schon Vorteile gegenüber Kipprotorflugzeugen wie der Osprey.
-Die Tragfläche zu kippen ist mechanisch einfacher zu realisieren als die Gondeln zu kippen.
-Das Triebwerk kann auf Halbspannweite angebracht werden; bei entsprechender Propgröße liefert die Tragfläche bei jedem Kippwinkel Zusatzauftrieb.
-Die Komplexität des Ganzen ist nicht so hoch, man kommt (wenn man das Heck stabilisiert bekommt->Propeller o. Abgasstrahl) mit normalen Propellern aus, braucht keine Rotorkonzepte.
-Im Schwebeflug kann man die Querruder zum drehen um die Hochachse nehmen, beim Tiltrotor per Zyklisch-pitch, sonst müssen die Gondeln seperat geschwenkt werden.

Es gibt auch Nachteile, wie erhöhte Windanfälligkeit, aber es sind nicht sehr gravierende.

Gruß, Rene
 
Zeichnung und erster Fertigungsversuch von Leitwerks-Schalen

Zeichnung und erster Fertigungsversuch von Leitwerks-Schalen

Hey Max,
wie Bernhard schon erläutert hat, gibt's in der Tat ein paar Vorteile. Die kommerziellen Tiltrotor-Systeme (WingCopter, Vertical Technologies etc.) sind fast alle in Quadrocopter Konfiguration - da sind dann 4 Antriebe nötig und wegen der Symmetrie immer auch mind. 2 Antriebe im Reiseflug zu betreiben.

Beim Tilt-Wing kann man durch die zusätzliche Giersteuerung über die Querruder im Schwebeflug das Heckrotormoment ausgleichen und man benötigt einen Antrieb weniger. Wie auch immer - der Tiltwing ist regelungstechnisch interessanter/anspruchsvoller und deshalb wird der Ansatz von dem Prof. am FSD verfolgt.

CAD Zeichnung
Die Zeichnungen erstelle ich, nachdem es bei CATIA und Inventor zu Versionsproblemen kam, in Onshape. Das ist ein Cloud-basiertes CAD Programm, welches ich schon seit ca. 3 Jahren häufiger benutzt habe. Es steht Inventor in nichts nach - CATIA ist bei Freiformflächen immer noch besser, aber dafür gibts Onshape kostenlos (dann sind jedoch alle Dokumente öffentlich einsehbar) und eine tolle Zeichnungs-Versionsverwaltung und Multi-User Funktionalität obendrauf. Es läuft auch angenehm flüssig auf meinem Rechner.
Hier findet ihr das Projekt:
Ein Screenshot zeigt den Flügel mit Rippen, Holmsteg, Motorgondel und Winglet. Letzteres wird 3D gedruckt. Der Hauptflügel wird in Schalenbauweise gefertigt.
Bildschirmfoto 2020-02-24 um 22.10.43.jpg

3D gedruckte Formen (fürs Leitwerk)
Die Formen kommen, bis auf eine Rückwandverstärkung aus Holz, aus dem 3D Drucker. Alles recht straight-forward. Über Boolsche Befehle im CAD Programm wird aus einem vollen Block der Positiv-Flügel subtrahiert. Dieser Block wird dann segmentiert, damit er druckbar ist. Ich verwende PLA als Material, den Creality Ender 3 als Drucker. Die Wandstärke liegt bei 0.8mm (2xDüsendurchmesser). Das Infill ist ein kubisches Gitter mit ca. 16% Infill-Volumen.
Die Formen werden stehend gedruckt, damit die Layer in Strömungsrichtung ausgerichtet sind, sollte ich nicht genug geschliffen haben.

Die gedruckten Schalen werden dann auf eine Holzwand geklebt (5min Epoxy). Leider habe ich wegen einer etwas flexiblen Basisplatte (so ein GFK zeug) ein Warping (Basis biegt sich aufgrund thermischer Schrumpfung beim Kühlen des Filaments). Der entstehende Spalt, der am Rand der Form sein Maximum hat, wird mit angedicktem Harz gefüllt und verschliffen.

Die Oberfläche wird durch Schleifen (120, 240 Körnung) geebnet. Dann kommt Sprühspachtel drauf, der auch wieder geschliffen wird.

Vor dem Laminieren muss dann noch eingetrennt werden. Zunächst 5-10 Schichten Trennwachs mit Watte auftragen (15min Ablüften). Schlussendlich kommt vor dem Einlegen der Gewebe noch PVA Trennlack drauf.

IMG_8763.jpg

Fertigungs(-versuch) - Laminieren von Leitwerksschalen
Übers Wochenende habe ich den ersten Fertigungsversuch gewagt.
Der Lagenaufbau ist (von außen nach innnen): [49g/qm Glas Gewebe; +-45°,100g/qm SpreadTow; 1.2mm Rohacell,]_1 [(Holmgurte aus Rovings); 45g/qm Glas]_2
Für die Ruder wurde Abreißgewebe in +-45° mit einer Glasschicht verwendet. In die Vorderkante wurde zusätzlich noch ein Roving gelegt.
Obendrauf dann Abreißgewebe, Lochfolie, Absaugflies und alles in den Vakuumsack. Bei ca. -300 Millibar vakuumiert.
Ergebnis nach erster Session (Außenlage) []_1:
IMG_8917.jpg
IMG_8919.jpg

Bin grundsätzlich zufrieden. Strukturell passt das, Gewicht ist auch recht gut. Lediglich die Oberfläche gefällt mir noch nicht.
Bemerkung: Ich habe das Vakuum schon nach ca. 7h abgenommen. Das war zu früh, wie ich später gelesen habe - ich weiß aber nicht, welchen Effekt das insbesondere auf die Oberfläche hat.
Zum Ergebnis:
(1) Das Stützmaterial hat sich abgezeichnet. Sollte ich das in Zukunft in einer zweiten Session machen, oder anfasen?
(2) Es gibt einige unbenetzte Stellen im äußeren Glasgewebe. Es scheint, dass dort zwar Harz war, aber abgesaugt wurde. Wie kann ich soetwas verhindern?
(3) Die Streifen auf der Oberfläche kommen vermutlich vom PVA (schwierig schlierenfrei aufzutragen, nutze einen Schaumstoff, aber kein Moltopren. Ich schaue mal, ob es eine Sprühpistole gibt). Wenn ich die Trennschicht abwaschen kann, zeigt sich, wieviel am Ende von den Schlieren im Harz zu finden ist.
(4) Die weißen "Flecken", die etwas flächiger an der Vorderkante zu erkennen sind, entstammen wohl der mit Microballons versehenen Mumpe, die für die Vorderkanten-Rovings verwendet wurden - das lasse ich dann wohl lieber und färbe das Harz leicht schwarz ein.

Wie könnte ich die Oberfläche nachbehandeln, um sie etwas anzuhübschen?


Ergebnis nach zweiter Session (Innenlage) []_2:
IMG_8961.jpg
Diesmal habe ich das Harz mit schwarzer Farbe versehen, um die Tränkung überprüfen zu können.
Morgen oder übermorgen möchte ich die Form dann schließen - dazu werden morgen Stege gelasert (vermutlich nicht unbedingt nötig bei den kleinen Abmaßen), die Formenkanten gesäubert und nochmal eingetrennt (oder lieber nicht?).

Bin für jegliche Tipps und Bemerkungen dankbar.
Ben
 
Leitwerksform geschlossen und Flügelform vorbereitet

Leitwerksform geschlossen und Flügelform vorbereitet

Heute konnte ich die Form schließen und die PLA Druck-Segmente auf die Flügelform-Rückwand kleben . Ein tüchtiger Modellbauer und HiWi am Institut hat mir dabei geholfen - zu zweit sind solche Arbeiten immer angenehmer. Auch hat mir ein Forumsnutzer netterweise viele hilfreiche Tipps gegeben.

Holmsteg & Ruderstege eingesetzt
Zunächst wurde heute das Stützmaterial bis zur Trennebene abgeschliffen um ein Schließen der Form zu gewährleisten. Auch wurde der Formenrand etwas gesäubert, dass keine größeren Harzablagerungen oder Fasern aufliegen. Weil ich ein Angsthase bin kam dann noch ein bisschen Wachs (vorsichtig) auf den Formenrand.
Dann haben wir den Holmsteg und die Ruderstege eingesetzt. Der Holmsteg wurde auf einem lasercutter ausgeschnitten und passte perfekt. Die Ruderstege haben wir aus Balsaholz geschnitten und dann runtergeschliffen. Um ein verrutschen zu verhindern haben wir die Stege bereits mit 5min Epoxy auf einer Seite verklebt.
Beim Flügel werden wir den Stützstoff darunter entfernen.
IMG_9020.jpg

Dann wurde die Form geschlossen. Zum Auftragen des mit Bauwollflocken angedickten Harzes haben wir Spritzen (groß und klein) benutzt. Da gabs ein paar Probleme. Das nächste mal wirds wohl ein Gefrierbeutel und Thixotropiermittel tun.

IMG_9024.jpg
Das Rohr wurde direkt verklebt (vorher angeschliffen). Die Kabel wurden bereits eingefädelt und Servoflächen schon freigelegt.
Wir sind seehr gespannt, ob sich das gut entformen lässt und wie die Oberfläche aussieht, wenn das PVA abgewaschen ist.



Vorbereiten der Flügelform
Insgesamt hat der Druck der 16 Flügelsegmente (4 pro Seite, oben und unten getrennt) ca. 128h bei 1,5 kg PLA benötigt. Ein guter Freund hat mir glücklicherweise auch seinen Drucker zur Verfügung gestellt, sodass die Gesamtdruckzeit verkürzt wurde. Es gab keine Fehldrucke, alles lief recht problemlos. Das Warping-Problem (siehe erster/zweiter Post) besteht zwar noch, aber nichts was ein bisschen Harz nicht lösen würde.
Als Formenrückwand habe ich im Baumarkt 15mm Multiplex Sperrholz gekauft. Das ist einigermaßen gerade und verteilt die Last gut.
IMG_9043.jpg

Die Drucksegmente wurden erstmal an den Kanten geschliffen (beim Drucken bildet sich immer so ein "Elefantenfuß", der muss abgeschliffen werden und die Rückseite zum verkleben angerauht werden). Dann mittels Schablone (die später fürs Zuschneiden der Gewebelagen notwendig ist, auf dem Lasercutter geschnitten) positioniert und Stück für Stück verklebt. Da die Vorder und Hinterkante ellitptisch geformt sind, ist das positionieren gar nicht so einfach.
Jetzt ist alles verklebt und mit R&G Positionierstiften (die Teile sind super!) versehen. Kleine Wellen zwischen den Druckteilen sind an der Endleiste zwar zu erkennen, aber alles <1mm. Wir sind sehr zufrieden für heute.
IMG_9045.jpg
 
Hey Benjamin

cooles Thema hast du dir ausgesucht,
ich hatte so ziemlich dasselbe, zusätzlich mit verschiedenen Konfigurationen, aber ein Kippflügler war nicht dabei ;)


Hast du Daten zu deinem Validierungsflieger?
Größe, Abfluggewicht, Payload, Flugzeit?

wie Bernhard schon erläutert hat, gibt's in der Tat ein paar Vorteile. Die kommerziellen Tiltrotor-Systeme (WingCopter, Vertical Technologies etc.) sind fast alle in Quadrocopter Konfiguration - da sind dann 4 Antriebe nötig und wegen der Symmetrie immer auch mind. 2 Antriebe im Reiseflug zu betreiben.

:D

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Jakob
 
Hey, ist ein paar Tage her, aber ich wollte noch Rückmeldung zu dem Projekt geben ;)

Der ganze Plan hat gut funktioniert. Der Kippflügler ist sauber geflogen und hat recht genau die Flugleistung erbracht, die von dem entwickelten Auslegungstool auch berechnet wurde.
Ein kurzes Video zu den Flugversuchen findet sich hier:

Die Masterarbeit findet sich hier.
https://drive.google.com/file/d/1ThBYSfY3vV45HV7DkboVzZnnG7VZBuCw/view?usp=sharing

Für den Flug bei 18m/s (Auslegungspunkt, bestes Gleiten), benötigt das Fluggerät nur ca. 25W Vortriebsleistung.

Hier noch ein paar Eindrücke vom Bau und Flug:


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1673253888793.png
 
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