Flug, anders gesehen

Der Flug, einmal anders gesehen


Oskar Czepas Sicht auf die Aerodynamik
(Neufassung 2017)

Oskar Czepa


In der prop–Ausgabe 1/2014 wurde aus der Zeitschrift „Die Zeit“ der Artikel „Hier irrt die Schulweisheit“ abgedruckt. Im Schlusswort dieser Abhandlung steht ein Satz des Leiters des Instituts für Flugzeugbau der Universität Stuttgart, Professor Voit-Nitschmann, der nach gut 100 Jahren Luftfahrt aus dem Mund eines professionellen Flugzeugkonstrukteurs doch recht erstaunlich klingt: „Das Fliegen gehört wohl zu den Phänomenen, die wir in der Natur beobachten und einfach hinnehmen müssen“.

Im Folgenden die Gedanken eines altgedienten Modellfliegers zu seinen Beobachtungen, wie er eines Tages den Blick hinter die Kulisse wagte, plötzlich seine Flugmodelle im Molekülgefüge Luft fliegen sah und nicht in den angelernten Strömungsmustern des Windkanals. Geschrieben für die breite Masse der Modellflugfreunde mit Basiswissen Flugmechanik.


Die Luft, das Flugmedium

Vereinfacht gesagt, zum Modellfliegen gehören drei, die Luft, das Fluggerät und die Flugtechnik. Schon in der Schule lernten wir, dass eine Atmosphäre (griech: Dunstkugel) die Erde umgibt. Das ist eine vom Schwerefeld festgehaltene Lufthülle, bestehend aus einem Gasgemisch, sowie Wasserdampf, Staub und Abgasen.
Der davon auch für den Modellflug relevante Teil ist die Erdatmosphäre. Ohne sie gäbe es auf unserem Planeten kein Leben jedweder Art und schon gar keinen Flug.
Seit Archimedes weiß man, warum Körper im Wasser schwimmen. Man kann diesen Vorgang ja auch sehen. Die Gasmoleküle der Luft hingegen sind an sich unsichtbar. In Verbindung mit Rauch oder Ähnlichem wird zumindest ihr Treiben recht gut sichtbar. (Rauchkanal in der Aerodynamik/Wolkenbildung durch Kondensation an den Luftmolekülen). Und wie unvorstellbar klein ist ein Luftmolekül? Für Physikliebhaber: Der Loschmidt´sche Moleküldurchmesser s0 wird mit 0,361 nm angegeben. 1 nm = 1 Milliardstel Meter. Im Vergleich dazu ist der Durchmesser eines menschlichen Haares 50 000-mal größer.
Obwohl ihre durch Absorption der Sonnenstrahlung und Wärmestrahlung der Erdoberfläche temperaturabhängige Dichte bei 20°C lediglich 1,210 kg/m3 beträgt, ist auch die Luft imstande, Körper zu tragen (Dichte ist die Masse eine Körpers, dividiert durch das Volumen. Für Wasser: 1000 kg pro m3!). Die Luft wird nicht nur mit zunehmender Höhe „dünner“, sondern auch mit zunehmender Temperatur (Thermikblase). Daher „trägt“ warme Luft theoretisch schlechter als kalte. Weil sie aber nicht so „dicht“ ist wie kalte, bewegt sich das angetriebene Modell leichter vorwärts, ist also schneller.
Der temperaturabhängige Dichtewert der Luft beeinflusst auch die Sink- und Gleitleistung eines Flugmodells. Bei einem Leistungssegler zeigt sich, dass er aus 50 m Höhe, bei 0°C um rund 6 sec länger fliegt, als bei + 20°C, dasselbe Modell die Strecke von 50 m bei 0°C in 10,39 sec zurücklegt, bei +20°C jedoch in 10,03 sec (Speed).
Befüllt man einen Ballon mit Gas das leichter als Luft ist (Helium 0,18 kg/m3), steigt er, weil die Auftriebskraft eines jeden Körpers in einem Gas, also auch der Luft, gleich dem Gewicht des verdrängten Gases ist (Archimedes).
Und der Heißluftballon? Erwärmte Luft dehnt sich aus, wird dünner und daher leichter. Im Heißluftballon gefangen, steigt sie mit ihm auf. Diese Temperaturempfindlichkeit führt auch zu Energieaustausch und atmosphärischer Zirkulation. In kleineren Gebieten führt dies durch Temperaturausgleich/Konvektion zu Winden unterschiedlichster Stärken und in riesigen, gleichmäßig erwärmten Zonen zu Kalmen/Windstille.
Der Wind oder Luftzug, der einem ins Gesicht bläst, mächtig oder sanft, ist nichts anderes als ein sich bewegendes Gasgemisch. Entstanden durch Luftdruck- und Temperaturunterschiede, strömt er von Gebieten höheren Luftdrucks in solche mit geringerem Druck. Er ist Teil unseres täglichen Lebens, kann zerstörend wirken, aber auch in vielerlei Art behilflich sein. Man denke nur an eine der schönsten Jugendspielereien, dem einfachen Drachensteigen oder an das Segelbootfahren. In exponierten Lagen ermöglicht er den Betrieb von Windkraftanlagen. Der Modellflieger nützt ihn zum Hangfliegen und weiß auch sonst, wie er beim Betrieb seiner Flugmodelle mit ihm umzugehen hat. Modellflug ist also auch ein Spiel mit dem Wind. In Wirklichkeit spielen aber die Luftmoleküle mit dem Modell.

In unbewegter Luft überwindet das Gleitflugmodell den temperatur- und höhenabhängigen Widerstand der Luftmolekülstruktur durch die in Flugrichtung wirkende Komponente der Gewichtskraft. Gleitet so im Geradeausflug mit der ihm innewohnenden Geschwindigkeit über den Boden. Bei Gegenwind verringert sich sein Vorwärtskommen zum Boden um den Betrag der Windgeschwindigkeit. Erreicht die anströmende Windgeschwindigkeit jene der Eigengeschwindigkeit des Modells, ist seine Fortbewegung gegenüber dem Boden gleich Null. Es bestehen nun gleiche Verhältnisse wie im Windkanal, jedoch als nicht fixiertes Modell. Ein Freiflugmodell hingegen bewegt sich mit konstanter Eigengeschwindigkeit meist kreisend im Luftmeer und driftet mit der Windgeschwindigkeit über den Boden.


Zum Fluggerät

Anmerkungen zu nachfolgenden Texten:
Als Vorlage für die Beschreibung des Fluidverhaltens in der Grenzschicht*, dienen die Erkenntnisse aus Messungen für kleine Fluggeschwindigkeiten, von K. Kraemer im Göttinger Windkanal, an Modellflügeln mit Seglerprofilen, mittels Kraftmessung, aber auch mit Hilfe von Fadensonden (Daunenfeder) und eines Stau-Hörrohres.
* In wissenschaftlichen Abhandlungen gebraucht man den Ausdruck fluiddynamische Grenzschicht. Fluid ist eine gemeinsame Bezeichnung für Gase und Flüssigkeiten. Genauer behandelt wird ihre Theorie in der Strömungsmechanik.
Druck- oder Formwiderstand: Jeder sich in Bewegung befindliche Körper empfindet das Luftgefüge als Hindernis und übt auf ihm Druck aus. Hinter dem Körper entsteht Druckabfall. Beim Versuch diesen auszugleichen wird das Molekülgefüge, als sichtbares Zeichen des geleisteten Widerstands, verwirbelt.
Schubspannungswiderstand oder Reibungswiderstand: Er entsteht durch die Scherung der Luftmoleküle mit der betroffenen Oberfläche. Seine Größe hängt wesentlich davon ab, ob die Grenzschicht turbulent oder laminar ist.
Druck- und Schubwiderstand zusammen bilden den Gesamtwiderstand.

Bevor Otto von Liliental (1848 – 1896) begann, seine Flugideen zu verwirklichen, befasste er sich zunächst akribisch mit der Theorie des Vogelfluges. Umfangreiche Berechnungen überzeugten ihn letztendlich, dass für den Schwingenflug die Kraft des Menschen nicht ausreicht. Also besann er sich der Gleitphase des Vogels und begann seine ersten Hängegleiter zu bauen. Dabei erkannte er sehr bald die Bedeutung des Flügelquerschnitts, kurz Profil genannt. Die ersten Messungen nahm er mit einem Rotationsapparat vor, dessen Kreisbahn einen Durchmesser von 7,5 m aufwies. Die Spannweite des Messflügels, dessen Flügelprofile jenen von Vögeln nachempfunden wurden, betrug 4,5 m. Als Vorläufer der späteren Windkanäle aller Versuchsanstalten dieser Welt, nahm er auch unter Zuhilfenahme des Windes und eines speziellen Apparates Messungen vor. Er gilt auch als der Erfinder des Polardiagramms. Heutzutage stehen uns nicht nur tausende Polardiagramme aus verschiedensten Windkanalmessungen zur Verfügung, aus denen Auftrieb, Widerstand und Drehmoment, einschließlich Nullauftriebswinkel und Nullmomentenbeiwert und Winkeldaten für den Gebrauch in der Flugmechanik für verschiedenste Re-Zahlen ablesbar sind, sondern auch unzählige von Computern produzierte, theoretische Polare. Wie schwierig die Frage nach der richtigen Profilauswahl ist, sei damit beantwortet, dass es für jedes Flugmodell und für jeden Flugzeugtyp nur ein optimales Flügelprofil gibt, nur kennt es niemand.

Wie jedes Fachgebiet, hat auch die Fliegerei ihre eigene Sprache. Lilienthals diesbezüglicher Wortschatz entsprang seinen theoretischen Erkenntnissen und praktischen Flugerfahrungen. Mit dem Aufkommen der Modellversuchsanstalten und dem Gebrauch von Windkanälen änderte sich diese Sprache. Es wurde nicht mehr geflogen, die Modellflächen wurden angeströmt. Wegen ihrer physikalischen Gültigkeit auch für den Flug, übertrugen sich fortan die Fachausdrücke der Strömungsforscher über die Literatur auf den Fliegersprachgebrauch. Automatisch sagt man: „Die Fläche wird angeströmt“. Oder beim Überziehen eines Modells, „Die Strömung ist abgerissen“!


Windkanal vs. Flug

Im Windkanal werden unterschiedliche Profile in Gestalt kleiner Messflügel als feststehende Objekte von einem künstlich erzeugten Luftstrom angeblasen und vermessen. Der Messkörper wird angeströmt. Die daraus gewonnenen aerodynamischen Messergebnisse sind von der Re-Zahl abhängig und betreffen ausschließlich das jeweilige Profil. Maßgebend ist für den Modellflieger die optimale Profilgleitzahl, ein Verhältniswert aus Auftrieb/Widerstand. (Für die Freiflieger ist allerdings das geringste Sinken wichtig ca3/cw2, d. Red.)
Beim Flug eines gleitenden Segelflugmodells hingegen bewegt sich der komplette Flugkörper mit Flügel, Rumpf, Seiten- und Höhenleitwerk, auf Grund der ihm innewohnenden Energie in der ihn umgebenden Lufthülle. Vom ersten Moment seiner Flugbewegung an leistet die lagernde Molekülmasse der Form des Eindringlings Formdruckwiderstand, während sich seine gesamten Oberflächen an den Luftmolekülen zu reiben beginnen. Der komplette Flugkörper unterliegt also Druck- und Reibungswiderstand. Die Luft bleibt passiv, ist der Widersacher. Der Flugkörper ist aktiv, er ist der Angreifer. Zur Ermittlung der Gleitflug- oder Sinkgeschwindigkeit müssen zu den Widerstandsdaten des Profils jetzt auch jene des restlichen Flugkörpers dazu gezählt werden. Gleit- und Sinkgeschwindigkeit, sowie deren Quotient aus Gleiten/Sinken (vx/vy), die Gleitzahl*, sind für den Modellflieger maßgebend.
* Die Gleitzahl ist eigentlich das Um und Auf des Fluges. Mit ihren Parametern und unserem Maßsystem von Metern und Sekunden kann man zunächst errechnen, welche Strecke ein Gleitflugmodell aus einer bestimmten Höhe zurücklegt. Bei einer Gleitgeschwindigkeit von 6,0 m/s und einem Sinken von 0,3 m/s (6,0/0,3) beträgt diese Strecke 20,0 m. Sinkt das Modell jedoch mit 1,0 m/s bei gleicher Gleitgeschwindigkeit (6,0/1), beträgt sein Gleitpfad nur mehr 6,0 m.
Stellt man sich nun ein rechtwinkeliges Gleitdreieck vor, dessen längste Seite, also die Hypotenuse, den Gleitpfad verkörpert und die Gegenkathete als kürzeste Seite die Starthöhe, dann ist mit obigem ersten Beispiel und mit Hilfe der Sinusfunktion der Gleitwinkel sin α = 0,3/6,0 = 0,05 = 2,86°. Bei Beispiel 2 (1/6) hingegen schon 9,6°. Die Gleitzahl und mit ihr die Sinkgeschwindigkeit eines Flugkörpers bestimmen theoretisch, ab welchem Gleitwinkel ein Flug überhaupt als solcher bezeichnet werden kann oder ist es für ein Modell mit 3 m/s Sinken bei 6,0 m/s Gleitgeschwindigkeit auch noch ein Flug, wenn es nach zwei Metern auf die Erde plumpst? Sicher ist, dass bei +/- 0,0 m/s Sinkgeschwindigkeit bereits die Thermik zu diesem „Nullschieber“ verholfen hat.

Im Windkanal wird pro Messdurchgang ein Tragflächenstück unter einem bestimmten Winkel fest eingestellt (Einstellwinkel) und die Fluggeschwindigkeit durch einen entsprechend der gewünschten Re-Zahl konstant fließenden Luftstrom eines Gebläses simuliert. Aus der Richtung des Anblasstromes und des jeweiligen Einstellwinkels resultiert der Mess-Anstellwinkel. Aus der Summe aller Messaufzeichnungen für Auftrieb, Widerstand und Drehmoment, meist von -0,8° bis +18,0°, entsteht das Polardiagramm, eine Grafik aller relevanten Profildaten.

Beim fliegenden Objekt hingegen bilden die Winkel zwischen Fläche und Höhenleitwerk zu einer Geraden den Einstellwinkel und die Differenz aus beiden die Einstellwinkeldifferenz (EWD). Der Anstellwinkel ist jener zwischen der theoretischen Profilsehne und der Anströmrichtung. EWD und Anstellwinkel sind mit Hilfe von Modellkenndaten und Polardiagramm aufwendig berechenbar. Die EWD ist auch mitbestimmend bei der Summe aller am Modell wirkendenden Auftriebskräfte, dem Auftriebsmittel. Im Schwerpunkt wiederum ist die gesamte Masse des Modells vereinigt, auf den alle äußeren Kräfte des Flugsystems einwirken. Um nun eine stabile Fluglage zu erreichen, müssen Auftriebsmittel und Massenmittel an gleicher Stelle operieren, sonst herrscht Kopf- oder Schwanzlastigkeit. Meist kennt man wohl die zu Hause eingestellte EWD, doch unter welchem Anstellwinkel das Modell wirklich fliegt, weiß man nie. Hier liefert die Fotografie bei Messflügen in der Halle beim Vorbeifliegen an horizontalen Hintergrundmarkierungen noch die besten Erkenntnisse, falls es beim Einfliegen gelingt, Flugamplituden zu eliminieren. Wird beim Trimmen die EWD vergrößert, erfolgt eine Auftriebsvergrößerung, das Auftriebsmittel wandert nach vorn, was wiederum eine Verschiebung des Schwerpunktes nach sich zieht (bzw. erfordert). Je größer die Anstellung, um so größer erscheint die Unterseitenfläche zur Flugrichtung. Auch der Rest des Flugmodells kann so eine Vergrößerung der Angriffsfläche erfahren, dem das Molekülgefüge verstärkt Widerstand leistet und das Modell am Weiterkommen hindert. Optimaler Flugpunkt: siehe oben, Modellgleitzahl.


Prologe zum Flug

Man ist gewohnt, die Dinge des täglichen Lebens mehr oder weniger gut beschreiben zu können. Bei der unsichtbaren Lufthülle versagt häufig unser Vorstellungsvermögen. Nur wenn ihre Luftmoleküle mit Rauch oder Wasserdampf angereichert sind, wird die Luft sichtbar. Rauchkanalabbildungen verraten uns auch, dass jeglicher Widerstand, dem ein bewegter Flugkörper im Molekülgefüge widerfährt, verwirbelte Molekülmasse hinter sich lässt. Die Wirbel des Reibungswiderstandes (Profilwiderstand) erscheinen zarter. Da sie jedoch über der gesamten Oberfläche entstehen, macht ihre Summe ungefähr die Hälfte des Gesamtwiderstandes eines Flugkörpers aus. Beim Druckwiderstand hingegen erscheinen die Wirbel dafür gröber, dafür ist ihre Menge verhältnismäßig geringer.
Ein weiteres geometrisches Hilfsmittel zur anschaulichen Beschreibung und Sichtbarmachung der Windkanalströmung ist die Stromlinie, ein Wort aus der Strömungslehre. Mehrere Linien zeigen den Stromlinienverlauf um ein bewegtes Objekt. Rücken die Linien zusammen, bedeutet dies Beschleunigung.
Das Strömungsverhalten der Moleküle im Grenzschichtbereich einer feststehenden Tragfläche im Windkanal wurde weitgehend erforscht und beschrieben. Dreht man den Spieß aber um, erscheint es fast unmöglich, die gleichen Vorgänge, also die Bewegung des Fluggerätes im Molekülgefüge, klar darzustellen. Es ist gar nicht so einfach von den eingeprägten Strömungsmustern loszukommen, mit dem Modell selbst mitzufliegen, ihm beim Gleiten zuzusehen und sich dabei bewusst werden, dass es sich gerade im Kampf mit dem Molekülmeer befindet. Für den Schreiber dieser Zeilen ist dieses imaginäre „Mitfliegen“ zur erhellenden Selbstverständlichkeit geworden.


Der Flug im Molekülgefüge Luft

Obwohl auch Dinge fliegen, die keine Flügel haben, führt unseren „Flug“, aus der mannigfachen Spezies des Modellflugs, ein Gleitflugmodell durch, das sich frei innerhalb der Lufthülle bewegt und dessen Erdanziehung durch eine Gegenkraft (Auftriebskraft) überwunden werden muss.

Von den verschiedenen Auftriebskräften kennt man den aerostatischen Auftrieb. Er entsteht durch Dichteunterschiede des bewegten Körpers zur Lufthülle (Ballon). Oder die Reaktionskraft, die beim Strahlantrieb oder der Rakete wirkt. Bei unserem Flug entsteht aerodynamischer Auftrieb durch die Bewegung eines geeigneten Körpers (profilierte Tragfläche) durch die Luft.

Der Flugzustand unseres Modells ist stationär, nicht beschleunigt, im Gegensatz zum instationären (beschleunigt durch Antrieb). Für den Auftrieb der bewegten Tragfläche ist ihr Querschnitt (Profilform) und ihre Anstellung zu der vor ihr lagernden Luftmasse entscheidend.

Der Auftrieb an der ebenen Platte entsteht im Wesentlichen auf der Flächenunterseite, wenn diese auf die Luftmasse aufgleitet und sich Überdruck (Luftstau) entwickeln kann. Aus der allgemeinen Strömungsmechanik ist bekannt, dass strömende Luft eine Saugwirkung (Unterdruck) entwickelt (Fixierrohr). Also muss auch an der Oberseite einer bewegten Fläche mit ebener Platte ebenfalls Unterdruck entstehen. Der Druck an der bewegten Wand wird gegenüber der ruhenden Luft geringer und bewirkt Sog. Im Modellflug-Re-Zahlbereich ist dieser Auftriebsanteil an der ebenen Platte jedoch gering und tritt nur in einem kleinen Anstellwinkelbereich auf (sehr früher Umschlag zur Turbulenz an der Saugseite). Erst bei Profilen mir gewölbter Mittellinie bildet sich auf der Flügeloberseite optimaler Auftrieb über eine großen Anstellwinkelbereich.

Wie eingangs erwähnt und nach langer Vorrede darauf vorbereitet, wird nun abweichend von der sonst üblichen Ersatzbeschreibung der Flugvorgänge durch Anströmung in einem Windkanal oder Sichtbarmachung durch Stromlinien – nach klassischer Literatur scheinbar gar nicht anders möglich – eine kontroverse Darstellung des wahren Fluges gewagt, wie eigentlich die Luftmolekülstruktur (das Fluid) auf das Eindringen eines Flugkörpers reagiert, im speziellen auf eine Tragfläche mit gewölbter Oberseite.

Unser Proband dafür ist also ein gut eingeflogenes Gleitflugmodell, zunächst in Ruhestellung, auf dem die Atmosphäre, also die Luftmolekülmasse in Ruhe lastet. Bewegt sich nun plötzlich (durch den Start) das Flugmodell, verbleiben die wandnahen Moleküle auf der gesamten Tragflächenoberseite haften, füllen die Rauigkeit ihrer Oberfläche aus und werden als laminare Unterschicht im Flug mitgenommen. Bei geringer Eindringgeschwindigkeit bleibt die darüber liegende Molekülschicht nur eine kurze Strecke laminar (ungestört), um sich dann noch vor der höchsten Stelle des Profils von der Wand abzulösen. Über den verbleibenden Rest der Profiloberseite bildet sich ein verwirbeltes Totwassergebiet (unterkritischer Flugzustand), als Zeichen großen Widerstandes. Ein Unterdruck kommt dadurch erst gar nicht zustande. Der Flügel wäre jetzt nicht mehr tragfähig, das Fluggerät absturzgefährdet. Da jedoch schon aus dem Gleitwinkel eine Anstellung zur Tragflächenunterseite gegeben ist, bietet sich also der Molekülmasse noch genügend Widerstandfläche an, der das Flugmodell durch den so entstehenden Überdruck (Auftrieb) an der Flügelunterseite, trotz miserabler Gleitleistung, vor dem Absturz bewahrt.

Wird nun bei zunehmender Fluggeschwindigkeit eine kritische Re-Zahl überschritten (überkritischer Flugzustand), liegen die Moleküle der Grenzschicht vom Staupunkt beginnend zunächst ein kurzes Stück glatt an (laminar), um kurz danach im Bereich der größten Profilwölbung eine örtlich begrenzte Art Totwassergebiet in Form einer Blase zu bilden. Noch gegen Ende dieser Ablöseblase entwickelt sich eine turbulente Grenzschicht, deren Moleküle zusammen mit der viskosen Unterschicht, eine von da bis zur Hinterkante anliegende Grenzschicht bilden. Mit dieser harmonischen Verbindung zur Flügeloberseite, verringern die Luftmoleküle ihren Widerstand um die Größe des unterkritischen Flugzustandes, mit beträchtlichem Auftriebsgewinn im Gefolge. Gleichzeitig bildet sich, sozusagen als Pufferzone über der gesamten Flügeloberseite, also zwischen Grenzschicht und der darüber ungestört lagernden äußeren Molekülmasse, ein stark variierender Unterdruck (Sog). Dadurch wird die Tragflächenoberseite an diese angepresst – an der höchsten Stelle des Profils am stärksten – und schert an dieser. Gegenüber der Fluggeschwindigkeit erfährt dabei die Molekülstruktur im Scherbereich eine Beschleunigung.

Bei großen Fluggeschwindigkeiten (Großflugzeugen) wird die Molekülmasse einfach zusammengepresst, passt sich den gegebenen Formen an und ihre Grenzschicht hat durchgehend laminare Struktur. Starker Unterdruck und eine dünne laminare Grenzschicht nehmen die gesamte Flächen-Oberseite ein. Sie schmiegt sich während des Durchflugs mit geringstem Reibungswiderstand an das scherende Molekülgefüge. Optimaler Auftrieb und geringster Widerstand sind die Folge.
Für die Flügelunterseite wird ebenfalls eine an der Tragfläche verbleibende viskose Unterschicht (früher laminare Unterschicht) angenommen. Diese glatte Tragflächenunterseite gleitet im normalen Anstellwinkelbereich über das darunter liegende Molekülpolster und bewirkt gleichzeitig gegenüber der Fluggeschwindigkeit eine verzögerte Mitnahme der mit ihr scherenden Molekülpolsteroberfläche. Bei kleiner Anstellung ist der Aufprallandruck durch das Vorwärtsdrängen des Fluggerätes im Molekülmeer noch eher gering und damit auch der Auftrieb aus Überdruck, der die Tragfläche nach oben drückt und so Auftrieb erzeugt. Mit jedem Grad zusätzlicher Anstellung vergrößert sich die Angriffsfläche, der Druck der zu überwindenden Molekülmasse auf die Fläche wächst, somit auch der Widerstand den sie leistet und verlangsamt dabei die Fließgeschwindigkeit der Molekülpolsteroberschicht gegenüber der Fluggeschwindigkeit. Im überkritischen Zustand erfährt die Aufwärtsbewegung der Tragflächenunterseite noch eine Erleichterung durch den Unterdruck der Oberseite.
Aus der Geschwindigkeitsdifferenz der Molekülbewegung über und unter der Tragfläche, leitet sich die Zirkulationstheorie ab.


Der Dritte im Bunde

Die Luft als sein Träger und das Modell ermöglichen wohl das Modellfliegen. Doch sei hier unbedingt der 3. im Bunde angesprochen, die Flugmechanik. Ohne das Grundwissen dieses Fachgebietes sind die fliegerischen Möglichkeiten eines Modellfliegers sehr begrenzt. Oft geht der Anfangsspaß in Frust über und endet aus Unwissenheit mit Enttäuschung. Daher sollte man, noch möglichst vor dem Einfliegen eines Modells, durch Lektüre oder Beratung, mit den Grundregeln der praktischen Seite der Flugmechanik vertraut werden. Für den Anfang genügt es zu meist schon zu wissen, wie man mit dem Schwerpunkt und der Winkeldifferenz umzugehen hat. Für den Wettbewerbspiloten scheint es unerlässlich, dass er sich eingehend mit den theoretischen, flugphysikalischen Vorgängen beschäftigt.


Zukunft

Wird hier noch mittels Arbeitshypothese eine Beschreibung gewagt, was der Molekülmasse Luft beim Durchfliegen eines Seglers widerfährt, liefert heute schon die Multidünnfadentechnik des Rauchkanals großartige Bilder des Grenzschichtverhaltens. Vielleicht zeigt uns bald eine Computeranimation den Originalflug im Luftmolekülgefüge, wählbar bei unterschiedlichen Anstellwinkeln, Fluggeschwindigkeiten und Profilformen. Dann könnte man auch Größe und Form der Druckvorgänge im Sogdreieck um einen Flügelquerschnitt, oder die Auswirkungen von Konstruktionsänderungen oder Flugeinstellungen für jedes x-beliebige Fluggerät des wahren Fluges „beobachten“.

Aber bleiben wir doch geduldig. Es ist ja noch nicht einmal eineinhalb Jahrhunderte her, dass der herausragende Fluganalytiker Otto von Lilienthal die ersten grundlegenden flugphysikalischen Zusammenhänge des Fluges erforschte.

Vielleicht gelingt es dem Leser nach dieser weit ausholenden, aber auch kontroversen Lektüre über die schwer erfassbaren Vorgänge um den wahren Flug, sich diesen als Fortbewegung eines Flugkörpers in der Molekülstruktur der Luft vorzustellen und nicht unter Zuhilfenahme der den Flug nur simulierenden Strömungsvorgänge des Windkanals.
Wem aber der Flug trotzdem unverständlich bleibt, der sei mit dem österreichischen Physiker Erwin Schrödinger (1887 – 1961) getröstet. In jungen Jahren beschäftigte er sich mit den Problemen der Hydro- bzw. Aerodynamik. Die erschienen ihm zu schwierig, also wechselte er zur Quantenmechanik. Für seine Erkenntnisse auf diesem Gebiet erhielt er den Nobelpreis.


Epilog

Auch ein Flugmodell wird in der Lufthülle der Erde geboren, dem Element seines spielerischen Lebens. Und geht sein Flugtag zu Ende, dann ruht es in einem feinen Daunenbett aus Stickstoff, Sauerstoff und Edelgasen. © Oskar Czepa


Quellenangaben

„Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst“ Otto von Lilienthal, Berlin 1889 D
„Flugtechnik für Jedermann“ Richard Bauer, München 1962 D
„Flügelprofile im kritischen Reynoldszahl-Bereich“ K. Krämer, Göttingen 1961 D
„Understanding Flight“ David F. Anderson & Scott Eberhardt, 2010 USA
„Unglaublich einfach. Einfach unglaublich“ Werner Gruber, 2013 A

Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Thermiksense 2/2017
 
Schöner Artikel, danke!
Meine ganz persönliche Sicht zum Thema:
Das Schöne am Modellfliegen ist, dass man es auch betreiben kann, ohne diese Zusammenhänge in der gezeigten Tiefe zu kennen oder gar zu verstehen. Mir reicht es, zu wissen, was ich tun muss, damit mein Flugmodell so fliegt, wie ich das will. Und das klappt tatsächlich ohne Grenzschichtbetrachtungen auf molekularer Ebene.
Als nicht-Wettbewerbs Mensch kann ich lächelnd damit leben, wenn man das alles auch noch 10% besser machen kann.
Und wenn ich die Bussarde über meiner Fliegewiese sehe, dann weiss ich, dass jedes noch so ausgefuchste Flugmodell nur eine Krücke ist. Mit dieser Erkenntnis relativiert sich einiges.
H.

P.S.: Schrödinger rules!;)
 
Danke für die umfassende Erklärung der Geschehnisse am Tragflügel insbesondere auch der Grenzfälle (Profil "ebene Platte", Strömungsabriss bzw. "Anlegen" der Strömung beim Start). Die Kenntnis der "normalen" Flugmechanik wird dabei natürlich vorausgesetzt.
Was mir ein bisschen fehlt: der für Modellflieger "normale" Flugzustand mit Umschlag laminar zu turbulent der Grenzschicht auf der Flügeloberseite, jedoch ohne Ablöseblase? Und wie ist es mit laminaren Ablösungen und den Mitteln diese zu vermeiden (Turbulatoren) - auch dies für Modellsegelflieger relevant, wegen der verringerten Reaktion auf Querruderauschläge ... ?
 
Schöne Beschreibung wesentlicher strömungsmechanischer Vorgänge, welche für die Fliegerei wichtig sind. Alles bestens erforscht und in der Fachliteratur beschrieben. Den Schluss hätte der Autor jedoch etwas relativieren sollen: Anstelle von "Arbeitshypothesen", die erst noch bestätigt werden müssen hätte er besser von "seinen Arbeitshypothesen", die er aus der Beobachtung des Modellflugzeug und dem Lesen der genannten Literatur entwickelt hat, geschrieben.
 
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