FAST FORWARD

Der Nurflügel aus der Praxis

Holger Willmann

Wenn ein Modell in drei Jahren auf 300 Flüge kommt, obwohl im Hangar noch zwölf andere einsatzfähige Flieger zur Verfügung stehen, dann muss es etwas Besonderes sein. Der Fast Forward ist so ein Vogel und deshalb erzähle ich hier seine Geschichte. Zur Einstimmung und damit jeder weiß, um was es geht, gibt es zuerst ein aktuelles Bild des Hauptdarstellers:
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Die Spannweite beträgt 960 mm, die Länge 500 mm. Es ist also so ein typisches immer-dabei-Modell.

Bevor es los geht, noch eine Bemerkung:
Horten-Fans und Nurflügel-Puristen sollten sich diesen Beitrag nicht antun, denn der Fast Forward pfeift auf Auftriebsverteilung, ausgeklügelte Profile und rechnergestützte Schwerpunktermittlung. Er ist das Ergebnis von einigen praktischen Grundüberlegungen und etwas Ausprobieren am fliegenden Objekt. Die tadellosen Flugeigenschaften lassen alle wissenschaftlichen Betrachtungen, die insbesondere im Zusammenhang mit Nuris immer wieder gerne angestellt werden, verzichtbar erscheinen.

Also los jetzt!

Angefangen hat alles vor ein paar Jahren mit einem Trittschallplatten-Nuri namens Trick17, den ich innerhalb von zwei Tagen aus purer Neugier und unter Verwendung von übriggebliebenen MHz- und Bürstenkomponenten zusammengeklebt habe. Die Erwartungen an dieses Provisorium mit einem über-den-Holm-gebogenen Profil, zweifelhafter Statik und fragwürdiger Optik (allein die Farbe...) waren gering, zumal alle greifbaren Quellen recht hohe Ansprüche an die korrekte Auslegung eines Nurflüglers stellen. Da kann doch ein Schaumdings nicht wirklich gut funktionieren, wenn es so aussieht:

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ABER: Weit gefehlt! Der eilig zusammengeschusterte Vogel überzeugte von Beginn an durch sehr ausgewogene Flugeigenschaften und der Stammplatz im Kofferraum war ihm schnell sicher. Erst nach 257 Flügen war der Spass zu Ende, als ein Propellerblatt bei Vollgas davonflog und der Trick17 in ziemlich kleinen Teilen vom Himmel regnete - Schaumflieger sind eben Eintagsfliegen!
Nach dem Einsammeln der weit verstreuten Komponenten ging es an die Planung des Nachfolgers und so kommen wir zum Fast Forward!

Die Auslegung des "Neuen"

Dass es einen Nachfolger für den Trick17 geben würde, war klar. Die Flugeigenschaften waren zu überzeugend. Aber es gab auch ein paar echte Schwächen, die es bei dem neuen Entwurf zu beseitigen galt. Im Wesentlichen waren das die fehlende Robustheit, die schon tausendfach gesehene Form und nicht zuletzt das scheußliche Sanitär-Türkis.

In bewährter Manier habe ich zuerst die Grundform skizziert, wobei gleich der erste Versuch gelungen ist:

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Schließlich gibt es schon genug Pfeile und Bretter, so dass diese etwas ungewöhnliche Silhouette die gewünschte Abwechslung versprach. So ganz ohne Einfluss von außen war der Entwurf übrigens nicht, denn in den 1930ern hat ein Russe namens Beljajew das hier in die Luft gebracht:

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(Quelle: Wikipedia)

Die Geometrie des handgemalten Flügels wurde zwecks geometrischer Ermittlung des Schwerpunktes noch genau gezeichnet und das sah so aus:

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Soweit die theoretischen Betrachtungen. Wie gesagt: Der Fast Forward hat nie ein Rechenprogramm durchlaufen...

Bei dem zu erwartenden Gewicht von 500 g sollte ein 28 mm Außenläufer mit 45 g und 1900/min/V mit 2S für genug Schub sorgen. Für brauchbare Gleitleistungen kommt ein 8 x 5"-Klapppropeller dran und der Rumpf muss gerade groß genug für zwei Servos, Empfänger, Steller, Motor und 2S1800 LiPo sein.
Damit liegen die Eckdaten fest. Jetzt wird es Zeit, mit dem Bau zu beginnen!

Flächenbau - 1. Anlauf

Zunächst habe ich für den Fast Forward wieder eine Fläche aus Schaumplatten gebaut, auf die ich hier nicht näher eingehen will. Schaumzeugs ist eben nur für Eintagsfliegen...
Jedenfalls sah diese Fläche mit verstärktem Holm und rundum mit Holz eingefasst so aus:

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Rumpfbau

Was der Rumpf können musste, habe ich oben schon zusammengefasst. Aber wie lang muss er eigentlich sein, um den Schwerpunkt ohne Ballast richtig hinzubekommen?

Mit dem folgenden Versuchsaufbau war die Antwort schnell gefunden: Ein Sperrholzbrettchen dient als Rumpfattrappe und liegt wie eine Wippe auf einem Querhölzchen, das genau im Schwerpunkt unterlegt ist. Jetzt werden die fertige Fläche und alle Komponenten sinnvoll so verteilt, bis die "Wippe" nach vorne umschlägt. Voilà: Da ist die gesuchte Rumpflänge!

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Nachdem das geklärt war, ging der Bau des Rumpfes schnell voran. Die Rumpfseitenteile wurden aus 3 mm Balsa ausgeschnitten, die Spanten aus 2 mm Sperrholz ausgesägt...

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...alles zusammenkleben und verschleifen...

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...und dann probieren, ob alles hineinpasst:

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Und schon konnten Rumpf und Fläche verklebt und lackiert werden.

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Das Seitenleitwerk ist mit ø 2 mm Stahldrähten am Rumpf abnehmbar befestigt.

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Nachdem ich noch eine Kabinenhaube tiefgezogen und die Ruder angelenkt hatte, war Fast Forward auch schon flugfertig. Die Ruder bestehen aus 25 mm Endleistenprofil und bei der Schaumfläche sind die Endleisten an den Außenflügeln starr angeklebt (mit etwas S-Schlag). Dazu später mehr.

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Der Erstflug

Komplettiert sah der Nurflügel so aus:

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Das war ziemlich nah an der Handskizze auf dem Zettel und entsprach sehr genau meinen Vorstellungen. Statisch um Welten stabiler als der Trick17, musste Fast Forward jetzt nur noch zeigen, dass er auch so gut fliegt.

Am 17.3.2012 ging es dann mit vollem 2S1800 mAh-Akku zur nächstgelegenen Fliegewiese. Bezüglich Fluggelände bin ich nicht wählerisch, schließlich soll der Apparat ja überall funktionieren! Also Rudercheck und los. Da ich grundsätzlich selbst werfen will, konnte mein Sohn mit der Kamera draufhalten und deshalb gibt es ein echtes Erstflugdokument:
http://www.rcmovie.de/video/f1cb73d97d96c1c65354/FAST-FORWARD-selbst-gemacht-Teil-6

Ein paar Bilder vom Erstflug gibt es:

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Man sieht also, dass sich der komische Vogel von Anfang an wunschgemäss verhalten hat. Die Flugeigenschaften entsprachen in etwa denen des Trick17, waren aber dank besserer Statik und präziserer Anlenkungen nochmals deutlich verbessert. Bodenturnen, entspanntes Rumgurken, erstaunlich sauberer Kunstflug oder um-die-Wette-kreisen mit den Bussarden (ja, ohne Motor in der Thermik!) - das Einsatzspektrum war enorm. Und schon kam mir der Verdacht, dass ich für so ein Allroundgerät wohl doch besser gleich eine Holzfläche gebaut hätte. Holz ist einfach dauerhafter als das Schaumzeugs.

Die Gelegenheit, oder eher die Notwendigkeit eine neue Fläche zu bauen, ergab sich dann nach 129 Flügen von selbst. Nach einem spektakulären Mid-Air mit dem Mini Swift eines Fliegerkollegen sah Fast Forward so aus:

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Der Entschluss, eine gescheite Holzfläche zu bauen, stand schon beim Einsammeln der Trümmer fest. Zu überzeugend waren die Flugeigenschaften und die einzige Schwäche sollte dabei auch gleich wegmodifiziert werden: Das war die etwas zu sanfte Querruderwirkung, hervorgerufen durch starr an den Aussenflügeln angeklebte Endleisten. Wenn die auch als Ruder wirken würden, also synchron mit der jeweils inneren Klappe laufen würden, müsste die Ruderabstimmung nach meiner Schätzung perfekt sein.

Also wurden zunächst 1 mm Balsabrettchen verleimt und in die selbe Form geschnitten, wie sie die Schaumfläche hatte.

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Auf die so entstandene untere Schale, die ja auch später völlig eben bleibt, kommt der Hauptholm (bei 1/3t), sowie die Nasen- und Endleiste. Die beiden Klammern halten die Knickverstärkung am Holm in Position:

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Die Fläche hat durchgehend 10% Dicke. Die Kontur der Oberseite des Profils entstand ganz keck frei Hand, wobei immerhin die jeweils gegenüberliegenden Rippen links und rechts genau angeglichen wurden.
Ich kann also beim besten Willen nicht sagen, was das für ein Profil ist, geschweige denn irgendwelche Koordinaten oder gar Polaren zum Besten geben. Und nach den Erfahrungen mit den über-den-Holm-gebogenen Profilen braucht das auch kein Mensch...

Auf diese Weise geht der Bau zügig voran. Vor dem Holm aus 4 mm Balsa gibt es doppelt so viele Rippen, wie dahinter - wegen der Profiltreue natürlich ;)

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Die Fläche ist nun fertig zum Aufbringen der oberen Schale. Verzugsfrei, bitteschön! Um der Nurflügel-Theorie wenigstens im Ansatz Rechnung zu tragen, soll die Holzfläche an den Außenflügeln etwas negative Verwindung bekommen.

Da das Profil auf der Unterseite völlig platt ist, genügt als "Helling" ein topfebenes Baubrett. Die Außenflügel werden an der Endleiste mit Keilen für die Verwindung unterlegt und der ganze Kram ganz dreist an insgesamt 10 Punkten mit jeweils einem Tropfen Sekundenkleber auf dem Baubrett festgezackt. Das sieht dann so aus:
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Jetzt kann die obere Schale ohne Risiko mit Pattex Classic aufgebracht werden. So fixiert, bleibt die Fläche bis zur Durchtrocknung des Klebers liegen.

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Die Verwindung am Außenflügel kann man auch gut erkennen:

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Nach dem Trocknen habe ich die Fläche an den zehn Punkten mit dem Balsamesser vom Baubrett getrennt und dann verschliffen. Und schon passte sie sauber in den Rumpfausschnitt:

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Das Gewicht, soviel sei vorweggenommen, hat sich durch die Holzfläche fast nicht verändert gegenüber dem Schaumteil. Der Unterschied beträgt nur 20g, ist also vernachlässigbar.

Das Seitenleitwerk hat den Crash unbeschadet überstanden und kommt wieder mit den originalen Befestigungspunkten an seinen alten Platz. Es ist somit das einzige verbliebene Schaumteil am Fast Forward:

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Da ich den Rumpf schon mal in der Hand hatte, sollte auch der etwas optimiert werden.
Dazu gab es zunächst eine Klappe auf der Unterseite, damit ich bei Bedarf wieder an den Empfänger komme. Der war nämlich vorher auf Nimmerwiedersehen im geschlossenen Rumpf verbaut.

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Für ein etwas eleganteres Erscheinungsbild habe ich außerdem den Rumpf vorne im Rahmen der Möglichkeiten noch abgerundet:

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Schliesslich kam auch der Motor wieder an seinen Platz...

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...und Folie im ursprünglichen Design auf die neue Fläche.

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Die Ruderklappen wurden gleich mit angebügelt und mit mit etwas Nachdenken über die Kinematik und vier zweckentfremdeten Servohebeln gelang auch die Mitnahme der äußeren Ruderklappen auf denkbar einfachste Art und Weise:

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Nachdem alles komplettiert war, ging es nur zwei Wochen nach dem Crash wieder zum (zweiten) Erstflug. Der verlief erwartungsgemäß ohne Überraschungen, schließlich ist es der Luft egal, ob sie Schaumzeugs oder Holz mit Folie umströmt! Die Erwartungen an die neue Fläche wurden voll und ganz erfüllt: Das Flugverhalten ist durch die hervorragende Steifigkeit sehr präzise, auf kleinste Steuerbewegungen wird sofort reagiert. Perfekt auch die Querruderwirkung durch die nun mitsteuernden Außenklappen. QR- und HR-Wirkung sind sehr ausgewogen und bei Bedarf extrem zackig. Auf dem Rücken fliegt der Fast Forward genauso gut, wie in Normallage:

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Fazit:

Ich wüsste nicht, was an dem Ding für meine Einsatzzwecke noch zu verbessern wäre. Der Nuri funktioniert bei jedem Wetter, auf jedem Gelände und sieht in der Luft unverwechselbar aus. Mit Antrieb, am Hang oder in der Thermik, er macht immer Spass und keine Zicken.

Also:

Kein Flugtag mehr ohne Fast Forward!

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Schöner Vogel und fliegt sehr schön. Der Mini Swift, der an dem Mid-Air beteiligt war, lebt bzw. fliegt noch.:)
 
Das nenne ich echten Pioniergeist und konsequenten Modellflug.
Außerdem sehr schön geschrieben und bebildert.
Ganz großes Kompliment von mir!
 
Ja, im fünften Bild des Beitrags sind alle Maße der Fläche zu sehen. Es fehlt lediglich der Betrag der Vorpfeilung an der Nasenleiste: 40mm.
H.
 
Wie in meinem Hangar: alles was voll montiert im Keller liegt, hat die besten Chancen (meist kurzfristig geplant) mit auf den Flugplatz zu fahren! Die supertollen Schmuckstücke bleiben daheim, entweder muss man zu lange zu viele Akkus (womöglich sogar noch Empfängerakkus, falls man dran denkt:o) laden und vorwärmen oder das Einladen, Aufbauen, Abbauen und wieder Einlagern dauert schon länger als man überhaupt an dem Tag Zeit für das Hobby hätte.:rolleyes: Da fällt mir ein, ich wollte doch längst ein paar von den "Sitzenbleibern" verkaufen, wenn ich doch nur mal Zeit... !:( Gruß Bernhard
 
Hallo aus der Pfalz, Kompliment und herzlichen Glückwunsch zu dem gelungenen Vogel. Außerdem meinen Dank für den schön gemachten Bericht. Ich wünsche dir noch viel Freude beim fliegen.
 
Servus Holger, hast wieder mal zugeschlagen! Klasse der Flieger. Das war ja auch schon Alexas Arrow, den (die) ich gleich nachgebaut habe :-) Aber diesmal bleibe ich hart - den Nuri baue ich nicht, nein, auf gar keinen Fall! Servus und viel Spass beim Fliegen! Peter aus Gansheim
 
Hallo alle,danke für die freundliche Rückmeldung!Ja, Peter, mal sehen ob das so bleibt, wenn die Abende länger und das Wetter schlechter werden;)Gruss,H.
 
Schöner Beitrag - faszinierend, dass auch eine 'pragmatische' Auslegung zu viel Flugspass führen kann - und das bei einem nicht alltäglichen Flugbild! Was ist denn das für ein Mini Bugatti Racer auf dem Bild ? gruss Michael
 
Bericht und Modell, sind echt Klasse :cool: Ganz klar "Daumen hoch!" Da ich etliche 3S Packs habe kann man den Nuri sicherlich auf 1,20 - 1,50 hochskalieren, ohne merkliche Unterschiede zu bekommen. Gruss Andreas
 
Hi Kollege,sehr schön beschrieben und angenehm zu lesen.Hat mir trotz nie geflogenem Nuri sehr gut gefallen ! ich überlege gerade ev.Deinen guten Entwurf nachzubauen,zumal mir das Flugbild extrem gut gefällt.Danke für Deinen guten Einfall und Beschreibung !! MfG Peter Schmalenbach
 
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