Kopf-Daumenkino

Kopf-Daumenkino

Thomas Regnery


Die Glaskuppeln in der Decke lassen in rhythmischen Abständen das gleißend helle Sonnenlicht in den ansonsten elektrisch ausgeleuchteten, nagelneuen Tunnel strahlen. So früh am Morgen steht die Sonne noch tief. Dennoch trifft ihr Licht auf die Alurahmen der Fenster und findet den Weg in mein Auge als immer wiederkehrender Blitz. Das macht das Fahren nicht einfach. Irgendwann wird mich das in einen epileptischen Anfall treiben.
Ich frage mich, wie es wäre, wenn ich beruflich dauernd fahren müsste? Dann bin froh, dass ich mich dem Risiko, schuldlos abgeräumt und ausgelöscht zu werden, nicht permanent aussetzten muss.

Ein Wunderwerk der Technik, dieser Tunnel. Der ganze Stolz der Autobahnbauer. In Jahrzehnte langem Bau mit Millionen Euro, Millionen von Staukilometern und sicher auch mit einigen Stautoten bezahlt. Gebaut allein zum Wohle der Umwelt und der Anwohner, denn hier wird nichts unterquert, sondern ausschließlich vor Lärm geschützt. Ich schaffe es einfach nie, diesen Tunnel emotionslos zu passieren. Auch nicht an diesem Samstagmorgen, an dem ich mit wenigen anderen, die ebenso früh unterwegs sind, mit 80 Richtung Süden durch dieses Nadelöhr schleiche.
Hab' ich auch wirklich alles eingepackt? Verbinder, Gewichte, Höhenruder? Noch wäre es möglich umzukehren. Ich komme zu der Überzeugung, dass ich alles habe.

Der einzige Trost an dem Tunnel ist, dass ich kurz darauf den Großstadtring verlassen und, von allen Geschwindigkeitsbegrenzungen befreit, endlich schneller fahren kann. Ich bin kein Raser, aber die Vorfreude treibt mich an, mein Ziel möglichst schnell zu erreichen. Auch kann ich dann bald wieder weiter ins Land sehen.

Wird es ein guter Tag werden?
Immer wieder gehen mir Bilder durch den Kopf. Bilder von Situationen, die ich heute erleben werde. Wie bei einem Daumenkino, immer wieder unterbrochen von der Realität und den Gedanken an Ereignisse der vergangenen Tage. Manchmal 5 Blätter, manchmal zwanzig, so dass es mehr oder weniger flüssige Bewegungen sind, manchmal aber auch nur ein Bild als flüchtiger Moment.
„Achtung Falschfahrer auf der A43 ...“ nicht meine Strecke, Kopf-Daumenkino trotzdem weg.

Mist, der letzte Termin gestern endete schon wieder ohne Einigung und ich hab keine Idee, wie ich das Montag erneut auf den Weg bringen soll.

Ich sehe auf die Bäume direkt an der Autobahn. Die Blätter sind schon deutlich gelb und rot verfärbt. Auf ihre Bewegung kann man nichts geben, man weiß nie, durch welche Verwirbelungen sie gerade entstanden sind. Besser sind da schon die vielen Windräder, die überall immer neu in den Himmel schießen und den Fernblick stören. Wo steht die Sonne? Sonnenaufgang im Osten, also um diese Zeit, so zwei Stunden später, eher Ostsüdost. O.k., die Windräder stehen 90 Grad zur Sonne und die Vorderseite zeigt zum Lauf der Sonne. Das bedeutet Wind aus Südwest. Kein Wunder, das hatte Windfinder auch gesagt. Aber warum dreht sich kaum eins? Das es wenig Wind gibt war zu erwarten, aber so'n bisschen könnten sie sich doch bitte, bitte drehen. Na ja, es ist noch früh und das wird schon noch. Bestimmt!

Plötzlich zieht einer von rechts auf die mittlere Spur. Ich erschrecke. „Maaaann, was soll das?“, schreie ich ihn an. Ich beruhige mich schnell wieder. Mein schlechtes Gewissen weist mich darauf hin, dass 140 km/h und die Gegend betrachten nicht zusammen passen, wenn man der Fahrer ist. Also Konzentration!
Doch so voll ist die Autobahn nun auch nicht und mein Blick gleitet immer wieder nach rechts und links. Die Felder sind schon abgeerntet, nur noch die Rüben stehen in langen Reihen. In dieser Flussebene ist es fast wie am Nil, denke ich. Fruchtbares Land, wohin man schaut. Im Radio läuft Adele, „Rolling in the deep“. Ich singe lauthals mit.

Am Horizont taucht in einem langen Streifen die erste Erhöhung auf. Die Autobahn steigt deutlich an. Mein alter Peugeot Kombi muss in Schwung gehalten werden, wenn ich hier mit 140 rauf will. Klappt natürlich nicht, weil einer der vielen Freizeitkapitäne mit einer Pagode und H-Kennzeichen auf die linke Spur zieht und ich auf 110 runter muss. Schönes Auto, mit suspektem Fahrer. Wer gibt schon so viel Geld für ein Hobby aus?

Jetzt nur noch Wald, links wie rechts. Erst Kiefern auf dem sandigen Boden der Endmoräne, drei Kilometer weiter dann nur noch Buchen und Eichen. Nach dem ersten Anstieg überquere ich die Kuppe und es öffnet sich der weite Blick in eine stetig ansteigende, hüglige Landschaft. Hat schon auch irgendwie was mit Freiheit zu tun, das erleben zu können. Immer wieder geht mein suchender Blick nach rechts und links nach Anzeichen, die mir Auskunft über Wind und Wetter geben könnten. Gibt es schon Greifvögel in der Luft? Der Wind scheint weiterhin nur schwach zu sein.

Ich muss mich jetzt entscheiden, ob ich es bei 90 km lasse oder noch 40 dranhänge. Der Südwesthang ist eigentlich eine Granate mit schier unendlicher Überhöhung, steiler Kante und einem sehr weiten Tal. Schön wäre es auch, die Kollegen zu sehen und nette Gespräche zu führen. Es gibt dort begnadete Piloten, von denen man immer etwas lernen kann. Nur wenn der Wind allerdings auf West dreht, wird es eng. Absaufer enden mit viel Glück und Hilfe ca. 3 km entfernt auf der anderen Talseite. Daher geht der Trend an diesem Hang durchaus zur Absaufversicherung durch Motor, aber den habe ich nicht. So gewinnt wieder einmal die Angst, ein Modell zu verlieren und ich fahre an der Ausfahrt vorbei.

Die Hänge werden immer steiler, die Täler immer tiefer. 10 Minuten später endet die Autobahn. An der Ausfahrt drängelt es sich etwas, weil offenbar viele zu der nahe gelegenen Rennstrecke wollen. Ist da heute was los? Ich bestaune einen Renault Alpine A110 in metallic-blau, der auf einem Hänger vor mir an der Ausfahrt steht. Sündhaft breite Kotflügel, das Ding.

Hab ich wirklich alles im Auto?

Nun zieht es sich noch einmal richtig über Landstraßen. Die kleinen Orte schlafen noch. Eigentlich schlafen sie immer, nur im Moment noch etwas tiefer als 2 Stunden später. Im Licht der Sonne wirken Sie idyllisch und aufgeräumt. Die Straße schlängelt sich einen endlos langen Berg hinab. Die Temperatur fällt von 12 Grad auf vier Grad im Tal. Links und rechts der Straße liegen die Wiesen im dichten Nebel. Unten angekommen sehe ich kaum die Hand vor Augen. Oh Gott...mach dass das oben wieder weg ist. Kaum bin ich auf der Gegenseite wieder aus dem Tal raus, strahlt mir die Sonne entgegen und ich blicke von oben zurück auf ein Nebelmeer. Schön ist's.

Am Straßenrand ein Schild: Grundstücke zu verkaufen: Ab 17,50 € pro m²! Wahnsinn, in meinem Wohnort werden bis zu 400 € verlangt. Könnte das was sein? An einem solchen Sonnentag können diese Gedanken durchaus gefährlich sein aber ich weiß, dass ich das nicht möchte. Zu lang der Winter mit Eis, Schnee und Sturm.

Noch ein Kaff weiter, dann rechts hoch, vorbei am Friedhof, Durchfahrt verboten, Anlieger frei. Natürlich kommt mir ein Hundeausführer entgegen. Überall kommen einem Hundeausführer entgegen. Er ist definitiv ein Einheimischer, beäugt äußerst skeptisch mein fremdes Kennzeichen auf seiner Straße, die er auf ganz natürliche Weise als solche annektiert hat. Sonst ist er hier immer alleine unterwegs und deswegen ist es eindeutig seine Straße. Ich setzte mein freundlichstes Grinsen auf, versuche ihm möglichst gewinnend zuzunicken und warte bis er zumindest zweidrittel des Weges freigegeben hat, damit ich mich im Schleichgang an ihm vorbei zwängen kann, ohne seinen Hund zu töten. Nur niemanden gegen sich aufbringen, auch wenn es sich um ein Gelände handelt, für dessen Nutzung der Verein reichlich Pacht bezahlt und ich nur deshalb hierher darf.

Noch 500 m leicht bergauf, dann an der Bank links, da passen drei Autos hin. Endlich angekommen. Ich schaue auf die Uhr. Genau 90 Minuten. Es lief ganz gut.

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Ich bin alleine und schaue in den großen Suppentopf. Nach Südwest ist der Rand des Kraters abgebrochen. Ich stehe auf seiner Nordostseite, wo der Rand noch fast so ist, wie ihn die Eruptionen vor tausenden von Jahren hinterlassen haben. Die Kante vor mir fällt etwa 45 Grad ab, jedoch nur ungefähr 20 Meter weit, dann beginnt sie schon abzuflachen und läuft über eine Strecke von geschätzten 500 Metern bis an den Boden des Kraters. Vor mir eine riesige ebene Wiese ohne Hindernisse, ohne Steine. Das Gras ist fast 30 cm hoch. Ich sollte nicht unten landen, damit ich nichts zertrete. Links, an der Ostseite steht ein Wald mit hohen Fichten. Wenn der Wind auf West dreht, gibt es dort einen schönen Stau. Nach Süden und Westen ist alles frei. Die Kante verläuft fast 800 m in einem Halbrund, mit einer Einbuchtung. Sie bildet ein Hufeisen und ist so unempfindlich gegen Winddreher. Irgendwo geht’s immer. Der Weg verläuft direkt an der Kante. Hinter dem Weg erhebt sich noch eine 10 m hohe, steile Böschung, die mit einer Brombeerhecke bewachsen ist. Dort sollte man besser nicht landen. Die gesamte Überhöhung des Hangs beträgt höchstens 50 m. Ich gehe über den Weg und stehe jetzt genau an der Kante. Die Sonne scheint direkt in das Loch und ich spüre die warme Luft von unten aufsteigen. Sie biegt das Gras kaum merklich, aber sehr gleichförmig. Wie ein Heizlüfter auf niedrigster Stufe. Ich bleibe für einen Moment stehen, genieße den Blick, die völlige Stille und den warmen Windhauch im Gesicht. Ich weiß, es wird gehen. Ich bin entspannt, weil das Gelände so risikolos ist, wie ein Gelände nur sein kann. Perfekte Sicht und landen kann man praktisch überall. Weit unten steht ein Heuschober in der Wiese, aber sonst nichts, was mir bzw. meinem Modell gefährlich werden könnte.

Ich gehe zurück zum Auto und öffne den Kofferraum. Jetzt wird sich zeigen, ob ich was vergessen habe. Die Wahl ist klar, ich nehme den F3Jler. Das Modell habe ich schon seit fünf Jahren. 3,70 m Spannweite, Vollcarbon, Kreuzleitwerk, dreiteilige Fläche, vier Klappen, ca. 2200 g, wie sie halt so sind, die modernen Flieger. Erst das Pendelhöhenleitwerk aufstecken. Es ist lästig, dass die Anlenkung immer im Seitenleitwerk verschwindet. Also fummeln und trimmen, bis der Anlenkungsdraht in die Bohrung flutscht. Dann das Mittelteil aufschrauben und beim Anstecken der Außenflügel nur nicht die Kabel quetschen. Alles mit Klebeband sichern. Sender an, Modell an, Rudercheck. Alles läuft wie es soll. Ich fasse an die Ruder und prüfe Spiel und Festigkeit der Anlenkungen. Spiel könnte weniger sein, müsste ich mich mal drum kümmern, aber fest sind sie. Der Akku ist voll. O.k., mehr kann ich nicht tun.

Ich gehe nach vorne an die Kante und suche nach Anzeichen für Aufwind. Keine Greifvögel zu sehen und auch keine Schwalben, aber die Luft strömt die Kante schön gleichmäßig an. Ich schiebe den Flieger in die Luft und drehe nach rechts. Jetzt die ersten Meter beobachten, ob das Tragen reicht. Nicht üppig, ich klick die Thermikstellung rein und dreh' die Nase etwas in den Wind. Jetzt geht’s, das Modell steigt etwa 10 m. Ich fliege einige Male an der Kante hin und her und lasse mich dabei bis über die Brombeerhecke zurücktreiben. Es reicht mir schnell mit dem hin- und herfloaten, also raus ins Tal. Zunächst noch ohne großen Höhenverlust, aber mit zunehmender Distanz nimmt der Aufwind der Kante ab und jetzt kommt's drauf an. Mit möglichst wenig Steuerbewegungen fliege ich eine große Runde durch das Tal, ohne aber auch nur ein einziges Zucken der Fläche zu beobachten. Na ja, dass hatte ich mir anders vorgestellt. Der Flieger ist mittlerweile unter mir und es dauert einige Runden, bis ich mich am Rand der Suppenschüssel wieder hochgeschaukelt habe. Noch ein Versuch, gleiches Ergebnis. Ich lande und schaue auf die Uhr. 40 Minuten bin ich da jetzt rumgeflogen. Wahnsinn, ich hab doch gerade erst rausgeworfen. 40 Minuten, in denen ich an nichts anderes gedacht habe, in denen ich nichts anderes tun musste, als mich in meinen Flieger hinein zu versetzen und zu fühlen, was er braucht. Hat sich schon gelohnt, der Tag.

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Lange bleibe ich nicht sitzen, ich muss Thermik finden. Also gleiches Spiel, wobei ich dieses Mal nicht so viel Zeit an der Kante vertrödel. Aber der Spaß will verdient sein und so dauert es doch, bis plötzlich der ganze Flieger einen Satz in die Höhe macht. Also voll Seite, mit Quer auf gut 45 Grad legen, Höhe nur soviel ziehen, dass die Nase schön unten und die Fuhre in Fahrt bleibt, mit Quer abstützen. Es ist immer eine Herausforderung, das Modell zum dynamischen Kreisen zu bewegen. Wenn es mir gelingt, erinnert es mich irgendwie an die Kreisbahnfahrer auf der Kirmes. Man meint, die Zentrifugalkraft würde das Modell nach oben schleudern, als würden man in einem Brummkreisel fliegen.
Natürlich gelingt es mir nicht, den Kreis gleichförmig zu halten, aber dennoch habe ich 150 m gemacht, als ich den Bart verlasse um Strecke zu fliegen. Beim Durchqueren des Tals steigt der Flieger weiter. Es trägt großflächig. Klappen hoch und mit pfeifender Fläche einige Loops und Rollen. Keine Höhe verloren, also nochmal. Ich fliege hinter den Hang und mache weiter Höhe. Dann andrücken und in gleichbleibend steiler Flugbahn in 10 m Abstand an mir vorbei bis ganz runter ins Tal. Bei der Wende unterhalb ist die Fahrt dann direkt raus. Ohne Ballast hält sich der Durchzug in Grenzen. Das Spiel beginnt von vorn.

Ich mache Pause und bin zufrieden mit mir. Ich bin sicher kein besonders guter Pilot, aber bisher nicht schlecht geflogen. Mittag ist schon rum und mehr Wind gab's bisher nicht, aber wie angesagt, dreht er immer mehr nach West. Am Abend soll es sich zuziehen und ein Atlantiktief Regen bringen. Gut, dass ich mich für diesen Hang entschieden habe.

Von oben kommt ein Auto. Lokales Kennzeichen, fährt einfach weiter ohne zu schauen. Hat wahrscheinlich nur eine Abkürzung durch die Pampa genommen.

Nochmal versuchen... schneller Erfolg.
Wie viel Spaß hatte ich schon mit diesem Modell! Wie viele Tage hätte ich nur dumm herumgesessen, weil andere Flieger einfach nicht oben geblieben wären. Dazu verzeiht er jede Dummheit am Höhenruder. Dieses ängstliche Dauerziehen, mit dem man das Absaufen zu vermeiden sucht und das andere Flieger gnadenlos in den Strömungsabriss treibt. Dazu die Leichtigkeit, mit der man ihn flach auf der Flügelspitze herumdrehen kann.
Wunderbar!
Aus dem Fichtenwald steigen zwei Bussarde auf. Ich kreise mit ihnen. Sie finden es o.k.. Angst haben sie offenbar nicht, denn sie bleiben lange bei mir bis sie weiterziehen. Irgendwann wird einer von denen Mut haben und ich muss zusehen, dass ich wegkomme, bevor er mir das Leitwerk abmontiert.

Ein Auto kommt von unten und hält 20 m unterhalb. Ein junger Typ steigt aus. Ich lande und schaue rüber zu ihm. Keine Regung. Ich setze mich in Gras. Er öffnet die Heckklappe und holt einen Gleitschirm heraus. Kein Gruß, kein Gespräch. Er fummelt mit seinen Leinen und breitet die Kappe aus. Leute gibt es...was ist so schwer daran, kurz hallo zu sagen und sich abzusprechen. Noch heute morgen hätte ich mich gnadenlos aufgeregt. Jetzt bin ich schon derart tiefenentspannt und glücklich, dass ich mich entscheide, ihn machen zu lassen. Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen einschränkt wird, denke ich. Er versucht es an der Kante, bringt aber nur kleine Hüpfer zustande. Ich hab kein Problem, weil der Wind zunimmt und ich direkt von der Kante nach draußen fliegen kann. Irgendwann erwischt er tatsächlich einen Bart und steigt weg. Wenn ich ehrlich bin, hab' ich ihm das nicht gegönnt, aber so kann ich ungestört einige flotte Runden an der Kante fliegen.

Ich baue meinen F3B auf und stecke Ballast in die Flächen. Die Sonne versteckt sich immer mehr hinter Cirruswolken. Anderes Fliegen. Dynamischer, nicht so eng, mehr Strecke, mehr Durchzug. Ich versuche, den Flieger wie beim F3F an der Kante aufzuschaukeln. Aber dafür ist sie nicht hoch und steil genug. Also weiträumig fliegen und die so erreichte Höhe passt schon, um einige Male an mir vorbei zu zischen.

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Kollege Paraglider hat eingepackt und sich genauso grußlos verzogen, wie er aufgetaucht ist. Die Sonne ist praktisch weg. In einer Stunde wird es dämmern. Schade, der Tag geht zu Ende. Eine ältere Dame kommt zu Fuß vorbei und spricht mich an. „Schön ist das, die Flugzeuge in der Luft zu sehen“. Ich unterhalte mich nett mit ihr. Sie erzählt mir von dem Dorf, der Landschaft und ihrem Leben. Ihr Mann ist letztes Jahr verstorben, ihre Kinder sind weg. Ich bin ansatzweise peinlich berührt. Will ich das alles wissen? Sie ist einsam, wie so viele Alte einsam sind und ich höre ihr zu. Wir kommen darauf, dass nicht alle Anwohner glücklich mit uns Modellfliegern sind. Sie meint: „Warum, ihr tut doch nix!“ Alte Damen sind mir dann doch lieber, als junge Paraglider.

Ich breche auf. Worüber habe ich mich gestern im Job geärgert?

Als ich zu Hause in unsere Einfahrt einbiege, weiß ich kaum, wie ich dahin gekommen bin. Ich glaube, ich hatte Stau. Es lief permanentes Kopf-Daumenkino, ruckelfrei und in 1a Bildqualität.

In Nächten, in denen Alltagssorgen mich um den Schlaf bringen, kann ich es abrufen. Ich greife wahllos in mein Daumenkino und lasse es laufen. Ich beginne immer wieder an einer anderen Stelle, bis ich nicht nur die Bilder sehe, sondern auch das Pfeifen der Flächen höre und den Wind in meinem Gesicht spüre.

Aber dann und wann müssen die Bilder aufgefrischt werden, sonst werden sie blass und ruckelig.

Ein wunderbares Hobby.
 
Hallo Thomas,durch Zufall habe ich diesen Beitrag gelesen.Sehr schön beschrieben - die Tour in "unsere" Landschaft.So wie Du es beschrieben hast, solch ein Kinoerlebnis habe ich oft. Uns das soll uns unser Hobby auch weiterhin geben!LGobelix
 
Hallo Thomas, was für ein toller Artikel... Ich glaube, ich sollte nächstes Jahr mal wieder mehr fliegen gehen. Dieses Jahr hab ichs nur einmal geschafft. Guten Rutsch Peter
 
Ich glaube viel besser kann man das Erlebnis Hangfliegen mit seinen Eindrücken gar nicht beschreiben. Genau das ist es, was mich so am Hangfliegen fesselt. Es muss nicht stürmisch sein oder ständig wie im Fahrstuhl nach oben gehen. Um so größer ist die Freude wenn es mal etwas besser trägt. Toller Bericht.Allen einen guten Rutsch und ein glückliches, gesundes neues Jahr.
 
Hallo Thomas Mit deinem Fazit sprichst du mir aus der Seele. Dieses wunderbare Hobby lässt die Altagsorgen doch in den Hintergrund verschwinden. Ein toller Bericht und schöne Bilder. viele Grüße Thomas Kühnapfel :cool:
 
Hi Thomas,du hast den Reiz unseres schönen Hobbys sehr schön in Worte gefasst.Ich wusste garnicht das du so eine literarische Ader hast.Ich freue mich jetzt schon auf unseren nächsten Vereinsausflug.Bis dahin aber erstmal alles Gute zum Jahreswechsel und ein erfolgreiches Fliegerjahr 2015.Gruß Volker
 
Ein schönes und gesundes neues Jahr Thomas, das du nicht fliegen kannst stimmt nicht aber das Du so romantisch schreiben kannst ist mir neu :-) Beim lesen saß ich gedanklich mit im Auto. Johannes
 
Zunächst von mir auch noch ein gutes, gesundes Neues Jahr! Nun zum Bericht: Ich kam mir beim lesen vor, als wenn ich selbst dabeigewesen wäre, so toll erzählt und auch auf kleine Details eingegangen, die man sonst gar nicht so beachtet. Auch die "Stimmungslage" als der grußlose Paraglider kam, kann ich sehr gut nachvollziehen, mir wäre es vermutlich genau so gegangen.Großes Lob und weiterhin viel Spaß bei unserem tollen Hobby!Grüßle Dieter
 
Hallo Thomas... vielen dank für dieses fabelhafte Traumspiel :-) Ich stehe auch gerade wieder im Kopfkino am Westhang (Schallodenbach) und lasse mir den Wind ins Gesicht hauchen, warte auf den ersten Geier und werffe meine Espadaraus, schraube mich dann zusammen mit Ihm in den Aufwind. Ich bedanke mich und wünsche Euch Allen ein aufregendes und auch entspannendes neues Jahr 2015 Karsten
 
Danke Thomas,das ist wirklich eine sehr, sehr eindrucksvolle Schilderung, die jeder Hangflieger nachempfinden kann! Die Gedanken, die Du bei der Anfahrt zum Hang schilderst, kennt wahrscheinlich jeder von uns; so gut beschrieben hat das aber noch keiner! Hangfliegen bedeutet eben auch, gelegentlich zu Einsamkeit bereit und fähig zu sein. Wäre schön, hier oder anderswo häufiger 'mal was von Dir zu lesen. Viele schöne Hang-/Thermikflugerlebnisse Dir und allen anderen RCN'lern 2015,Carsten
 
hallo thomas! schön mal von einem modellflieger über die lyrische seite des fliegens zu lesen. bin ebenfalls ein liebhaber der puren segelfliegerei und verzichte gerne auf den motor und somit auf narrensicherheit. dennoch habe ich die entspannende wirkung einer fitsche schätzen gelernt. diese sieben meter gummiseil bringen doch gute 20-30 mtr höhe und genügend gelassenheit für einen schnupperflug. siyu:otto
 
Hallo Thomas, sehr schön wie Du diesen Tag und die Gedanken dazu geschildert hast. Ich kann Dir nur zustimmen, denn im oftmals stressigen Alltag kann man wunderbar die erleben Hangflugtage mit dem "Kopfkino" hervorholen und ein wenig entspannen. Ich wünsche Dir für 2015 alles Gute und viele schön Hangflugtage. Edgar
 
Hallo Thomas, besser hätte man das "Kopfkino" nicht beschreiben können. Ich konnte mich in Vielem was Du beschreibst selbst wiederfinden. Viele Grüße Achim
 
Hey Thomas! Klasse Beitrag, den wohl nur Modellflieger verstehen können ;) Ich bin froh mittlerweile einige kleine Hänge in der Nähe zu haben, dafür vermisse ich das Fliegen an der Winde! Das habe ich bei meinem letzten Besuch bei euch wieder gemerkt! Man kann halt nicht alles haben. Gruß in die Heimat
 
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